Al Pacino, eine der größten Schauspieler-Legenden in der Geschichte des Kinos, veröffentlicht seine lang erwarteten Memoiren
Für die Weltöffentlichkeit tauchte Al Pacino wie eine Supernova am Himmel auf. Seine erste Hauptrolle spielte er 1971 in Panik im Needle Park. Bis 1975 kamen vier Filme dazu: Der Pate und Der Pate Teil II, Serpico und Hundstage, die nicht nur Erfolge, sondern auch Meilensteine der Filmgeschichte waren. Diese Rollen machten Al Pacino zur Legende und veränderten sein Leben für immer, denn seit Marlon Brando und James Dean hatte kein Schauspieler mehr für solches Aufsehen gesorgt. Damals war Al Pacino bereits Mitte dreißig und hatte mehr als ein einziges Leben gelebt. In Sonny Boy gibt er zum ersten Mal Einblick in seine mitreißende Vergangenheit. Es sind die Memoiren eines Mannes, der nichts mehr zu fürchten und nichts mehr zu verbergen hat.
»Ich habe dieses Buch geschrieben, um zu erzählen, was ich in meinem Leben gesehen und durchgemacht habe. «
»Es war eine sehr persönliche und spannende Erfahrung, diese Reise erneut zu erleben und zu begreifen, was die Schauspielerei mir ermöglicht und welche Welten sie mir eröffnet hat. «
»Mein ganzes Leben war wie ein Raketenflug zum Mond, und ich bin ein ziemlicher Glückspilz gewesen. «
Besprechung vom 30.11.2024
Shakespeares Verse in die Bronx brüllen
Die Qualität der Drehbücher war für ihn entscheidend, doch mit Geld wusste er leider nicht umzugehen: Der Schauspieler Al Pacino blickt zurück auf seine Rollen und Filme.
Von Maria Wiesner
Von Maria Wiesner
Wenn Prominente ihre Biographien veröffentlichen, erhoffen sich Fans ausführliche Details des der Öffentlichkeit sonst verschlossenen Privatlebens. Dass man diesem Erwartungsdruck nicht nachgeben muss, beweist Al Pacino mit seinen Memoiren. Der Schauspieler stellt seine Meinung zum Thema anhand einer Anekdote klar: Ob er sein Publikum eigentlich nicht möge, fragte eine junge Frau den medienscheuen Star nach der Aufführung eines Theaterstücks. "Ich sagte der Frau, es falle mir schwer, die mediale Aufmerksamkeit zu akzeptieren", erinnert sich Pacino. Die Szene beschreibt er etwa in der Mitte des Buches, sie scheint der Schlüssel zum Verständnis seiner Person zu sein. Denn er schiebt gleich hinterher: "Als jemand, der schüchtern ist, mochte ich die Aufmerksamkeit der Medien nicht, und ganz sicher mochte ich keine Paparazzi, die sich in mein Leben einmischten."
In Privates gibt er folgerichtig nur winzige Einblicke in diesem Lebensrückblick. Zwei Bilderstrecken in der Mitte des Buches zeigen auf Hochglanz einige Schnappschüsse von Familienfeiern mit selbstironischer Beschriftung: "Ich sehe aus wie ein Entführungsopfer", schreibt er unters Foto, das ihn als Baby mit seinen Eltern zeigt. Der Großteil der Bilder aber ruft Pacinos größte Film- und Theaterrollen ins Gedächtnis.
So hält er es auch im Text; nur seine Kindheit bekommt etwas Raum, sonst geht es ums Berufliche. Pacino berichtet also vom Aufwachsen als Sohn sizilianischer Einwanderer in der South Bronx, vom schwierigen Verhältnis zu seinem Vater und davon, wie seine Mutter versuchte, sich umzubringen ("Mir wurde nichts erklärt; ich musste mir selbst zusammenreimen, was passiert war"). Da war er gerade sechs Jahre alt. Zur Schauspielerei bringt ihn eine Lehrerin, die das Talent des sensiblen Jungen erkennt. Die Schule verlässt er dennoch früh, um seine Mutter mit Gelegenheitsjobs zu unterstützen; er bleibt dem Drama aber treu, tritt in kleinen Theaterproduktionen unabhängiger Bühnen auf und besucht dann die Method-Acting-Klasse bei Lee Strasberg.
Als Leitplanke auf dem Erzählweg durch die folgenden Kapitel dienen ihm seine Filme. Chronologisch taucht er in seine Erinnerungen entlang jener Thriller, Dramen und Komödien ein, die er selbst als die wichtigsten seiner Karriere einschätzt - und aus dem, was er dabei über seine Arbeit fallen lässt, aus dem Blick auf seine Schauspielkollegen und Regisseure, puzzelt sich langsam das Bild Al Pacinos als Künstler zusammen.
Francis Ford Coppola sah ihn auf der Theaterbühne und schickte ihm ein Drehbuch. Er holte Pacino für "Der Pate" als Michael Corleone, den jüngsten Sohn des Mafiabosses Vito, zum Kinofilm. Von Marlon Brando, der ebenjenen Vito gibt, ist der junge Mann so eingeschüchtert, dass er ihm in der Drehpause nur beim Essen zuschauen kann und kaum ein Wort herausbringt. Als das Studio dann die Fortsetzung des "Paten" plante, offeriert man Pacino Unsummen. Aber er zögert, bis Coppola eingreift und empfiehlt: Bietet ihm nicht mehr Geld, sondern ein besseres Drehbuch. Pacino entschied, so erzählt er es im Buch, immer nach der Qualität des Skripts. Geld war für den Jungen aus der South Bronx Nebensache. Es kam einfach. Und ging genauso schnell auch wieder. Diane Keaton, mit der Pacino seit den ersten Proben zu "Der Pate" befreundet war, konnte irgendwann nicht mehr mitansehen, wie unverantwortlich der Schauspieler mit seinem Vermögen umging. "Ich verstand nicht, wie Geld funktionierte", gesteht Pacino. Flossen die Honorare auf sein Konto, verschenkte er die Dollars mit vollen Händen und überprüfte keine Abrechnung, die ihm sein betrügerischer Finanzverwalter vorlegte. Keaton schleppte Pacino also zu einem anderen Finanzberater, und der offenbarte ihm: "Ich war pleite. Ich hatte fünfzig Millionen Dollar, und im nächsten Moment hatte ich nichts. Ich besaß Immobilien, aber kein Geld." Den Vorsatz, nur gute Drehbücher anzunehmen, musste er über Bord werfen. Er spielte alles, was man ihm anbot, um wieder flüssig zu werden - was auch seine durchwachsene Filmographie belegt, die er hier aber nur in reuevollen Nebensätzen streift.
Lieber widmet er sich mit Ausführlichkeit seiner Shakespeare-Liebe. Schon als Jungschauspieler übte er dessen Verse ("Hörte man zu später Stunde jemanden in einer Gasse überschwänglich jambische Pentameter in die Nacht hinausschreien, dann handelte es sich vermutlich um mich, der ich Shakespeares große Monologe einübte"). 1996 dreht er den experimentellen Dokumentarfilm "Looking for Richard" über Shakespeares Dramen. Die Liebe zu klassischen Stücken zeigte sich 2011 abermals im selbstfinanzierten Dokudrama "Wilde Salome" über Oscar Wildes Stück "Salomé", für das Jessica Chastain, gerade von der Juilliard School kommend, vorsprach und Pacino damit den Ausruf: "Träume ich vielleicht?" entlockte. Wenn er über diese beiden Regieprojekte schreibt, tritt eine gewisse Bitterkeit darüber zutage, dass sie weder vom Publikum noch von der Kritik so aufgenommen wurden, wie er es sich gewünscht hätte. Ist das eitel? Vielleicht. Vor allem aber ist es ehrlich.
Al Pacino: "Sonny Boy". Mein Leben.
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Piper Verlag, München 2024. 400 S., Abb., geb.
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