Gleich mal vorweg:
"Das Mädchen von Rawblood" ist ganz anders, als ich erwartet hatte. Das ist nichts schlechtes - nur definitiv ganz anders.
Was ich als Leserin serviert bekam, waren Atmosphäre der Extraklasse und einen Schreibstil, der absolut zum Niederknien ist!
"Das Mädchen von Rawblood" war vor ein paar Jahren Catriona Wards Debüt - und auch wenn man bei den Nachfolgern, die hierzulande zuerst publiziert wurden, schon in den Genuss des Stils kam, wird jetzt deutlich wie außerordentlich gut diese Frau schon zuvor geschrieben hat.
Ich bin zutiefst beeindruckt - inhaltlich peilt das Setting das späte 19. Bis das frühe 20. Jahrhundert an. Und Frau Ward ist hier nicht nur die Story gelungen, sondern hat auch perfekt den Wortlaut, den ich aus Klassikern dieser Epoche kenne, wiedergegeben.
An manchen Stellen fühlte ich mich an Mary Shelleys "Frankenstein" erinnert, passend zur Story wurde dann aber ein Bogen geschlagen und ich hörte Jane Austen durch die Worte flüstern..
Ich betone es nochmal, Catriona Ward ist eine begnadete Schriftstellerin und verdient all ihre bisher erworbenen Auszeichnungen zurecht.
Wenden wir uns dem Inhalt zu:
Dem Klappentext habe ich entnommen, dass Iris und ihr Vater Anfang des 20. Jahrhunderts auf Rawblood leben.
Dies ziemlich abgeschieden, aus Schutz - Schutz für sich selbst und für andere. Denn die Familie ist verflucht: Wer Liebe empfindet, muss sterben.
Eine Frau sucht sie heim, Generation um Generation, und bringt Wahn, Tod und Qual mit sich..
Nun, wer hier Horror erwartet, der wird nur zum Teil gepleasured werden. Subtil, ja. Aber keinesfalls in Richtung Haunted House wie man es wahrscheinlich kennt.
Viel mehr liest man hier die Lebensgeschichte einer Familie.
Hauptakteurin ist Iris, der man auch zu Beginn der Geschichte folgt. Dann kommt der erste Zeitsprung und Perspektivwechsel. Und dann noch einer. Und noch einer..
Es entsteht ein Mosaik, welches das Gesamtbild erscheinen lässt. Mal kurz gehalten, dann wieder lang .. Alles hängt zusammen und fügt sich am Schluss ein.
Apropos Schluss: An diesem fällt man wie Alice durch den Kaninchenbau und sieht die zurückliegende Geschichte nochmal mit ganz anderes Augen.
Ein kluges Ende, und doch voller Wehmut.
...wie das ganze Buch.
Im großen und ganzen empfand ich die Geschichte als tragisch.
Nicht so schlimm, dass man Taschentücher bereithalten muss, dennoch leidet man teils mit, gerade weil man die Personen außerordentlich gut kennenlernt.
Es ist eben nicht nur das Mädchen von Rawblood - oder irgendwie doch - es ist die Familiengeschichte.
Ein Drama mit Kniff; Wahnsinn mit Methode - und das wunderschön und mit Anspruch erzählt.
Ich fand es ganz wirklich toll. Hier und da etwas zu lang vielleicht, aber dementsprechend auch intensiv.