In der kleinen schottischen Stadt Stromness auf den Orkney Inseln lebt Paul, ein Schweizer Dekorateur und Inneneinrichter. Als er von einem Design-Magazin einen obskuren, aber lukrativen Auftrag aus Norwegen erhält, begibt er sich auf eine Reise, die ihn an die Grenzen seiner Welt und weit darüber hinaus führt.
Christian Krachts Roman aus dem Geiste einer radikalen Romantik erzählt eine faszinierende Geschichte vom Hier und vom Dort und katapultiert uns aus unserem Jetzt, aus unserer spätmodernen, leerlaufenden Zivilisation in eine gleißende, verspiegelte Landschaft der Literatur. Unser Leben: ein Traum.
Besprechung vom 09.03.2025
Der Spieler
Christian Krachts neuer Roman "Air"
Air", der neue Roman von Christian Kracht, eine Fantasygeschichte aus einer eisigen Welt, ist pünktlich zum Erscheinen für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 nominiert worden, der Roman davor, "Eurotrash", steht auf der Longlist für den diesjährigen International Booker Prize. Es läuft also. Schon immer war die Reaktion auf seine neuen Bücher Teil des Spiels, das Kracht spielt. Das klingt banal, denn wer schreibt, hofft ja auf Resonanz und Preise. Aber im Falle Krachts wirkt es seit dem Debüt "Faserland" so, als ob sich das Werk erst mit dem Feedback zu vervollständigen scheint. Zumindest hat die Kritik bislang noch auf jede Kracht-Koketterie reagiert, auf das Schnöselige von "Faserland" wie auf das Reaktionäre von "Imperium". Nach und nach aber wurde es zu verführerisch, den eben noch nicht gewürdigten Autor für dessen große Prosa zu feiern - weil man sich damit zugleich selbst dazu gratulieren konnte, etwas erkannt zu haben, wo andere nur Oberfläche sahen. Kracht, schwer greifbar in Prosa und Person, muss das früh verstanden haben, jedenfalls nutzt er es.
Dass er weiß, wie Distinktionsgewinne funktionieren, hatte er in seinen ersten Roman deutlich hineingeschrieben und danach wieder und wieder auch in seinen Auftritten gezeigt. Kracht hat seinem Publikum selbst beigebracht, wie man ihn und seine schillernden Stoffe am besten liest, unter großer Selbstkontrolle, denn dieser Erzähler ist nie dein Freund (auch wenn Kracht mal ein Magazin so genannt hat, das er leitete).
Der Wunsch aber, ihn endlich zum Großschriftsteller zu erklären, wurde unverkennbar spätestens bei den Frankfurter Poetikvorlesungen 2018, in denen Kracht von Missbrauchserfahrungen als kanadischer Internatsschüler erzählte. Es war der komplexe Versuch einer Erinnerungserzählung oder vielleicht auch dessen Imitation, was ja nicht bedeuten muss, dass hier etwas erfunden gewesen sein muss, in jedem Fall war es ein faszinierender Text - worauf ihm die "SZ" aber bescheinigte, nie einen ironischen Satz geschrieben zu haben. Das konnte einfach nicht stimmen. Nichts aber hat bislang den Ausruf des Kritikers Dennis Scheck übertroffen, Krachts Roman "Die Toten" sei "für die Literatur das, was der Tonfilm für den Film bedeute - eine Revolution". Für Kracht, dessen Interviewpolitik berüchtigt ist, zahlte sich da aus, so oft in "Druckfrisch" gewesen zu sein, wo er dann seinen Hemdkragen geheimnisvoll heraushängen ließ.
Was Scheck jetzt wohl über Krachts eisigen Fantasyroman "Air" sagen wird - die größte Erfindung seit Bofrost? Die Geschichte spielt in einer arktischen Anderwelt, in die Paul, die Hauptfigur des Romans, nach einem elektromagnetischen Zwischenfall in einem norwegischen Datenzentrum katapultiert wird: Paul eine typische Kracht-Figur, ein Geschmacksmensch mit strapazierten Nerven, den seine Distinktionssehnsucht auf die schottischen Orkneys getrieben hat, wo er damit hadert, sich für superseltenes Sauerteigbrot auf seinem Schweizer Armeefahrrad abzustrampeln, und dann guckt nicht mal jemand zu. In der eisigen Welt, in die ihn die Sonneneruption verfrachtet, trifft er auf ein neunjähriges Mädchen, Ildr, und gemeinsam fliehen sie vor den Soldaten des Herzogs, der sich diese Welt unterworfen hat.
Es ist kalt und karg. Blut und Wälder, Beeren und Speere. Sicher hat Kracht überlegt Anspielungen untergebracht, auf Mythen, Bücher und extraspezielles Wissen, wie immer in seinen Romanen, in denen jeder Buchstabe sitzt. Und natürlich hat er sich im Text direkt wieder vom Text distanziert, diesmal gleich im ersten Satz, mit einer gezielten Nullformel: "Das Leben war voller Sorgen, aber auch nicht wirklich." "Air" lebt davon, denken zu sollen, dass mehr dahintersteckt. All das aber zu ignorieren, weil man müde ist, das Spiel dieses Schriftstellers schon wieder mitzuspielen, und das Abenteuerliche an dieser Story so unspannend ist, wirkt befreiend. TOBIAS RÜTHER
Christian Kracht, "Air". Roman. Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.