Inés ist frisch aus dem Gefängnis raus und bereit für ein neues Leben, fünfzehn Jahre, nachdem sie die Geliebte ihres Mannes umgebracht hat. Gemeinsam mit ihrer Knastkumpanin Manca gründet sie ein Unternehmen: FFF, Frauen, Fliegen, Finale - ökologische Schädlingsbekämpfung und Privatdetektei, von Frauen für Frauen.
Doch Señora Bonar, eine ihrer Kundinnen, will mehr loswerden als nur Ungeziefer - könnte Inés nicht ihre Expertise einbringen, um auch die Geliebte ihres Mannes aus dem Weg zu räumen? Inés will sauber bleiben, aber als Manca eine teure Behandlung benötigt, gerät ihre moralische Standhaftigkeit ins Wanken.
In einer bitterbösen Komödie erzählt Claudia Piñeiro von zwei Freundinnen auf der Suche nach Freiheit, in einer Gesellschaft, die Freiheit für Frauen nicht vorsieht.
Besprechung vom 03.03.2025
Manche Wörter sind ansteckender als ein Virus
Claudia Piñeiros Frauenroman "Die Zeit der Fliegen"
Für Fliegen vergeht die Zeit viermal langsamer. Deswegen ist es auch so schwer, sie zu fangen - sie sehen die Hand viel länger kommen. "Wenn wir nur alle die Zeit der Fliegen hätten", seufzt Inés. Vielleicht wäre dann vor fünfzehn Jahren alles ganz anders gekommen. Vielleicht hätte sie dann nicht die Geliebte ihres Ehemannes erschossen (das ist eine andere Geschichte, nachzulesen im 2008 erschienenen Roman "Ganz die Deine"), wäre nicht ins Gefängnis gewandert und anschließend in eine Welt entlassen worden, die in dieser Zeit eine völlig andere wurde.
Jetzt kämpft Inés mit ihrem neuen Smartphone, der ständigen Erreichbarkeit, mit dem angemessenen Sprachgebrauch und der quälenden Frage, ob sich die heutigen Sensibilitäten für genderspezifische Gewalt in der Zwischenzeit anders auf ihr Strafmaß auswirken würden. Alles keine ungewöhnlichen Themen für die argentinische Autorin Claudia Piñeiro, deren Frauenfiguren sich stets an patriarchalen, religiösen, sozialen Zwängen abarbeiten. Auch in "Die Zeit der Fliegen" fährt die Autorin ein nahezu vollständig weibliches Figurenarsenal auf; Frauen beschaffen hier die wichtigsten Informationen und halten sich solidarisch den Rücken frei, manipulieren aber auch meisterhaft und drohen einander in den Abgrund zu reißen.
Mit ihrer Freundin La Manca wagt Inés den Neuanfang und gründet ein unkonventionelles Unternehmen: Fünfzig Prozent Privatdetektei für Frauen, fünfzig Prozent Schädlingsbekämpfung. Die Manca ermittelt, Inés räuchert Wohnungen aus. Doch eine neue Kundin hat etwas anderes im Sinn als die Motten in ihrem Kleiderschrank: Sie will ein tödliches Insektizid, um ihren Ehemann zu vergiften. Denn wer, wenn nicht Inés könnte ihre Lage besser verstehen?
Von vorrangigem Interesse ist in "Die Zeit der Fliegen" aber nicht nur, was wirklich hinter dem Auftrag steckt, sondern vor allem das Widerstreitende im Text selbst, der unaufhörliche Zweifel an der eigenen Position. Ständig unterbricht Piñeiro die Handlung durch Kapitel, in denen Stimmen miteinander streiten, feministische Grundsatzfragen diskutieren und kommentieren. Die Statements von Denkerinnen wie Simone de Beauvoir oder Chimamanda Ngozi Adichie gehen in diesem Chor auf, durch Kursivierung und Fußnoten dem körperlosen Rest enthoben. In anderen Passagen nimmt Piñeiro die Perspektive von Inés ein, schreibt in der ersten Person über ihre Vergangenheit, über die Mutterschaft, die sie als lebenslängliches Urteil empfindet. Immer wieder beendet sie ihre Sätze durch kurze Anmerkungen in Klammern, sarkastische Kommentare, ergänzend, hervorhebend, häufig auch prüfend, als wäre Inés in diesen Momenten eine Erweiterung der Autorin selbst, die ihr eigenes Schreiben hinterfragt. "Es ist sicher schon alles geschrieben worden: über Frauen, über Fliegen und über den Tod. Auch über Mütter und Töchter. Originell wird es nur, indem frau dasselbe auf andere Art erzählt."
Diese andere Art, das sind im Roman auch essayistische Einschübe. Im Gefängnis hat Inés ihre Faszination für Insekten entdeckt, nun schreibt sie geradezu liebevoll über die verschiedenen Unterarten der Fliegen und ihre Eigenschaften, ihre Bedeutung für die forensische Entomologie, ihren Platz in der Weltliteratur. Ganz klar erschließt sich Claudia Piñeiros Intention hinter dem Fliegenmotiv nicht, aber letztlich ist es genau diese Unebenheit im Text, diese Experimentierfreude, die überraschende, oftmals provokative Einsichten hervorbringt. Über die Mutterschaft etwa: "Es ist verräterisch, stigmatisiert ein Leben lang. Manche Wörter sind so, sie sind ansteckender als ein Virus (Knast, Mörderin, Mutter)."
Der Kriminalroman, weil er ohnehin permanent auf den Grenzen des Ausführ-, des Sag- und Denkbaren balanciert, ist für solche Gedankenexperimente das ideale Gefäß. Und so wird, wer aufgeschlossen gegenüber dieser eigenwilligen Erzählwelt und geduldig ob ihrer Abschweifungen bleibt, doch belohnt. Der kommt Piñeiros Protagonistin gedanklich so nah, dass sich die Armhaare aufstellen, sanft kribbelnd, als hätte sich dort eine Fliege niedergelassen. KATRIN DOERKSEN
Claudia Piñeiro: "Die Zeit der Fliegen". Roman.
Aus dem Spanischen von Silke Kleemann.
Unionsverlag, München 2025.
352 S., geb.,
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