Besprechung vom 14.10.2024
Was gibt es Neues?
Zwei neue Biographien widmen sich den Tennis-Legenden Boris Becker und Novak Djokovic. Doch ist nicht alles schon gesagt?
Von Thomas Klemm, Frankfurt
Von Büchern lässt sich einiges lernen. Zum Beispiel, wie relativ die Bezeichnung "neu" ist. So wirkt mancher Gedanke, wenn er endlich in gedruckter Form erscheint, von der Aktualität überholt. Blickt man auf die Shortlists von Buchpreisen, finden sich dort mitunter Romane, die schon im Herbst des Vorjahres erschienen sind. Obendrein findet sich in den Verlagsprogrammen mitunter Frischgedrucktes, das im Grunde wenig Neues bietet, was aber dezent verschwiegen wird. Hierbei handelt es sich nicht zuletzt um Biographien von Sportstars, die es längst in englischer Sprache gibt und nun für eine deutsche Leserschaft übersetzt wurden. Hoffen die Verlage doch, von dem ewigen Kult um die Stars zu profitieren.
Der Verlag Edel Sports hat eine Übersetzung des Buches "Michael Jordan: The Life" von Roland Lazenby veröffentlicht, das im Original schon vor mehr als zehn Jahren erschienen ist und auf Deutsch nun den Titel "Michael Jordan: Die Biografie" trägt (768 Seiten, 34 Euro). Das Neue daran ist eigentlich nur, dass in der Zwischenzeit auf Netflix die Serie "The Last Dance" lief, die an den Aufstieg der Basketballlegende Jordan und der Chicago Bulls erinnert und damit die öffentliche Aufmerksamkeit mal wieder stärker auf das NBA-Team und seinen einstigen Ausnahmekönner gelenkt hat.
Die Frage, was es Neues gibt, stellt sich auch bei der x-ten Biographie, die das Leben eines Triple-A-Promis auszuleuchten und seine Sportlerkarriere zu analysieren verspricht. Im Falle von Boris Becker, im Tennis als Spieler groß geworden und nach jahrelangen Irrläufen auf dem Boulevard als TV-Experte zum Tennis zurückgekehrt, scheint eigentlich jeder Lebenswandel erzählt. Becker selbst hat mit Eifer und Eitelkeit dazu beigetragen, dass man mehr über ihn weiß, als man wissen möchte. Erscheint eine weitere Lebensgeschichte wie jetzt "Boris Becker. Immer wieder aufstehen" von Daniel Müksch, ist der Leseanreiz daher eher so lala. Umso mehr, wenn man zwei ausschweifende Vorworte hinter sich bringen muss, um bei folgendem Einstiegssatz zu landen: "Die Geschichte von Boris Becker beginnt in Leimen." Darauf lässt sich nur mit Loriot ausrufen: Ach was!
Mit dem Auftakt gibt der frühere "Bunte"-Autor Form und Richtung vor. Müksch erzählt Beckers Werdegang ebenso flott wie chronologisch (allerdings durchweg im Präsens, was angesichts mitunter verschiedener Zeitebenen gelegentlich verwirrt) und weiß dabei Pointen zu setzen. Das eine oder andere Kapitel schließt mit einem Kurzinterview mit Weggefährten Beckers oder dem Coach Holger Fischer, der darüber spekulieren darf, ob der erfolgreichste Mann der deutschen Tennisgeschichte ein hochsensibler Mensch ist. Dem sportlichen Auf- und Abstieg räumt der Autor nur unwesentlich mehr Platz ein als den Irrungen und Wirrungen, Pleiten und Peinlichkeiten nach Beckers Karriereende 1999. Müksch bleibt weitgehend sachlich und stringent. Er verhehlt seine Sympathie für Becker nicht, verkennt dabei aber gelegentlich, dass der jüngste männliche Grand-Slam-Turniersieger der Geschichte nicht nur öffentliches Opfer seines frühen Erfolges war, sondern Menschen und Medien auch für sich zu nutzen wusste. Müksch zitiert den früheren Landestrainer Richard Schönborn, der Becker vor einigen Jahren ungnädig nachrief: "Du hast gedacht, nach dem Motto 'too big to fail' leben zu können."
Neues bietet die Becker-Biographie allenfalls für Nachgeborene, die wissen wollen, von welchem tollen Tennistypen von früher ihre Eltern so oft reden. Auf den allgemeinen Stand gebracht werden sie vom Autor, der sich schon in einem sechsteiligen Podcast mit Beckers Leben beschäftigt hat, jedoch nicht. Beckers einzigen US-Open-Sieg 1989 erwähnt Müksch überhaupt nicht, seinen sechsten und letzten Grand-Slam-Titel bei den Australian Open 1996 nur indirekt. Hätte der Biograph manche Ballwechsel oder Beziehungskisten knapper beschrieben, wäre Raum für mehr Wesentliches gewesen. Seiner Neigung zum Boulevardesken, die er schon in seiner Biographie über Novak Djokovic (F.A.Z. vom 29. April 2022) schwer zügeln konnte, gibt Müksch auch am Ende seiner Becker-Biographie nach. Bei seinem Blick in "eine völlig subjektive Glaskugel" sagt er dem bald 57-Jährigen eine weitere Ehe, eine weitere Vaterschaft und eine weitere Anklage vor Gericht voraus. Als Trainer von Alexander Zverev sieht er Becker ebenso wenig wie im RTL-Dschungelcamp. Wenn er sich da mal nicht täuscht.
Hat wenigstens die neue Biographie über Djokovic "Auf der Suche nach Novak" von Mark Hodgkinson Neues zu bieten? Zunächst einmal ist der Fokus origineller als das, was sonst in Sportlerbüchern zu lesen ist. Der Biograph ist nur am Rande daran interessiert, ständig auf Ballhöhe zu sein und das Zustandekommen von den 24 Grand-Slam-Titeln und 75 weiteren ATP-Turniersiegen Djokovics zu beschreiben. Sondern er versucht zu ergründen, wie der Rekordchampion aus Serbien tickt und warum er so erfolgreich ist. Dazu hat Hodgkinson mit so vielen Personen aus Djokovics Umfeld gesprochen, dass er über die Ehekrisen von Novak und Jelena ebenso viel zu berichten weiß wie über die sportlichen Zweifel des Tennisprofis vor allem 2018, als der Serbe alles hinwerfen wollte und seine Vertrauten darüber in Kenntnis setzte.
Was Djokovic antreibt, beschreibt der Autor wohlwollend bis affirmativ: seine Kindheit im Bombenhagel von Belgrad. Seine Besessenheit, es mit Roger Federer und Rafael Nadal in puncto Triumphen und Beliebtheit aufnehmen zu wollen. Seine Ernährungsumstellung, die es ihm ermöglichte, vom oft schlappmachenden Jungprofi zum topfitten Champion zu werden. Sein unbändiges Streben, Rekorde zu brechen. Und nicht zuletzt Djokovics Glaube ans Esoterische: Er setzt auf die Selbstheilungskräfte des Körpers, lässt sich nicht impfen und nur operieren, wenn es gar nicht anders geht. Er glaubt, dass verschmutztes Wasser durch Gebete in heiliges Wasser verwandelt werden könnte und dass ein Nanochip auf der Brust die Körperwärme in mikroskopische Lichtstrahlen umwandelt und so das zentrale Nervensystem stimuliert. Wölfe sieht der Serbe als seine "spirituellen Naturführer". Hodgkinson steckt scheinbar so tief in Djokovics Kopf, dass es kein Entrinnen gibt. Kritischen Abstand zu wahren fällt ihm entsprechend schwer. Djokovics mentales Tief, nachdem er 2016 erstmals die French Open gewonnen und sich damit einen Lebenstraum erfüllt hatte, gerät gar zum küchenpsychologischen Exkurs: "Tief in sich entdeckte er in einem dunklen Winkel seiner Seele ein verängstigtes, weinendes Kind, das jammernd Aufmerksamkeit forderte." Dieses "innere Kind" habe er aufgrund seiner Hingabe an den Sport vernachlässigt. Nun, da Djokovic als einer der größten Sportler der Geschichte gilt, soll der Serbe mit vielem seinen Frieden geschlossen haben und die jüngere Profigeneration unterstützen wie kein Zweiter.
Das Buch bietet viele Einblicke aus der Nähe, von der Ausweisung aus Australien mangels Impfung, den Anfeindungen, denen der Serbe mutmaßlich wegen seiner Herkunft ausgesetzt ist, bis zu seinen wenigen spielerischen Schwächen (der Schmetterball!). Es richtet sich an jeden, der laut Hodgkinson "ein riesiger Djokovic-Fan" ist oder ihn unwiderstehlich findet. Schwerer werden sich mit dem Buch all jene tun, die Esoterik nicht als Geheimlehre verstehen, sondern als Firlefanz. Die Abhandlung von Djokovics Denken, Fühlen, Handeln kann man faszinierend finden oder verstörend.
Mark Hodgkinson: Auf der Suche nach Novak.
Verlag Edel Sports, 288 Seiten, 24,99 Euro.
Daniel Müksch: Boris Becker. Immer wieder aufstehen.
Verlag Die Werkstatt, 224 Seiten
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