Besprechung vom 05.12.2024
Katzen und Hunde widersprechen wenigstens nicht
Lauter Heuchler draußen in der Welt: In seinem Roman "Das Leben - Es lebe!" teilt Edo Popovic kräftig aus
Verlassenheit ist das eine, Einsamkeit das andere: Das Dorf Gornja Stranica unweit der kroatisch-slowenischen Grenze ist etwas mehr als eine Autostunde von Zagreb entfernt. 2001 hatte es drei Einwohner. Mehr Fakten sind auf herkömmlichem Wege über diesen Ort nicht zu erfahren, außer dass Edo Popovic, einer der wichtigsten kroatischen Schriftsteller, seit einigen Jahren hier lebt. Seine Frau und er kauften und restaurierten dort ein altes Bauernhaus.
Popovics erster Roman "Mitternachtsboogie" porträtiert das Lebensgefühl der Jugend in Jugoslawien in den späten Achtzigerjahren und ihre letzten Atemzüge im nie richtig erreichten Sozialismus. Er wurde zur Bibel seiner Generation. Sein neuester Roman liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor, nicht mit dem kroatischen Originaltitel, der auf Deutsch "Wie ich lilafarbene Roboter gezählt habe" lauten würde, sondern mit dem neuen Titel "Das Leben - Es lebe!".
Autobiographisch geprägt erzählt er von der Tragik seiner Familiengeschichte, dem Aufwachsen ohne Mutter, die ihn einst zurückließ, um in Deutschland zu arbeiten, von deren Tod und seiner eigenen überstandenen Krebserkrankung - und von der Offenbarung: das laute und kalte Zagreb zu verlassen und aufs Land zu ziehen. Niemand ist eine Insel, aber Popovic möchte gerne eine sein.
Nebenbei - nein, vielmehr hauptsächlich - eröffnet er essayistisch-traktathaft den intimen Zugang zu seiner Lebensphilosophie, die zugleich die Suche nach einer Gegenwartsdiagnose ist. Sie ist mal anarchistisch ("Loyalität zum Staat ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit"), mal stammtischhaft, oft kapitalismuskritisch und bitter kulturpessimistisch, selten geistreich: Gesetze seien "Geschichten für fantasielose Menschen", Corona sei geplant, die ganze Bosheit der Pharmaindustrie stehe in der Absurdität eines Beipackzettels, das Autorendasein und die ganze Weltliteratur seien verdorben, Politiker seien Schlangen und sowohl Abtreibungsgegner als auch ihre Kontrahenten nichts als Heuchler, Konservative auch, Kommunisten sowieso, vom Establishment ganz zu schweigen.
Antielitäres Verschwörungsdenken ist im dysfunktionalen postjugoslawischen Raum mit seinen "Geisteskrankheiten", schreibt der Autor, zwar berechtigter, empirischer, aber es befremdet den Leser dennoch. Blinde Polemik gegen alle wird zur Misanthropie, zur Egozentrik eines Menschen, der zu viel Zeit hat: "Die Nebenwirkungen der Chemotherapie sind gelinde gesagt noch harmlos, verglichen damit, was manche Menschen in mir auslösen. Die meisten Menschen." Immerhin gibt er es zu, Popovics Alter Ego. Es bleibt unklar, ob diese Morbidität Ausdruck seiner Krankheit ist.
Im Anbetracht dieser Bitterkeit scheint jenes Dasein, das hier die Alternative zur verdorbenen Zivilisation darstellen soll, eher wie ein gesellschaftlicher denn wie ein persönlicher Eskapismus: Allein auf dem Land leben, nur umgeben von seinen Tieren und von Bukowski, Beethoven, Nietzsche und anderen elitären Fragmenten, die er aus der zivilisierten Welt herübergerettet hat. Nur von der schaffenden Spezies möchte die Figur in Popovics Roman in Ruhe gelassen werden. Er unterhält sich lieber mit seinen Hunden und Katzen, in denen er das Wahre und Gute sieht. Sie geben keine Widerworte. Hinter der Kulisse der Befriedung mit der Welt und der romantischen Dankbarkeit fürs Weiterleben wirkt dieses neue Dasein traurig, fad, einsam, auch wenn der Autor seine Leser vom Gegenteil überzeugen will.
Es gibt bisweilen ein nahbares Moment in dem Roman, etwa wenn der Autor den Tod seiner Mutter begleitet oder wenn seine Kulturkritik leichtgängig wird: Die seelenlose Gegenwart kenne kaum noch Straßenhunde. Lehrreich ist sein Blick auf Kroatien, seine Gesellschaft und sein Volk, dem er attestiert, für jedes ernstere Unternehmen, wie das Führen eines Staates, ungeeignet zu sein. Die "Totengräber" von Ahmici, wo 1993 kroatische Soldaten ein Dorf bosnischer Muslime massakrierten, bringen ihn zur Theodizee.
Wirklich nahbar oder sympathisch macht ihn das aber nicht. Denn in erster Linie geht es in Popovics Roman um Popovic, wie er die Welt sieht und was ihn dazu brachte, darüber nachzudenken. Das ist für einen autobiographischen Roman eine naheliegende Entscheidung. Der Ansatz scheitert aber aus zwei Gründen: Jede andere Figur ist nicht mehr als ein Komparse - wie Sjena, kroatisch für Schatten, sein Zagreber Nachbar, der wie Nachbar Wilson gesichtslos bleibt und seine philosophischen Betrachtungen über die Trennwand des Balkons vorträgt, oder ein alter Bauer, sein einziger menschlicher Umgang auf dem Dorf, mit dem er ständig im Zwist liegt. Ein Roman, dessen Handlung obendrein nirgendwo hinführt und dessen Wut willkürlich scheint - das kann schwerlich gelingen.
Die Essenz, die Diagnose zum Modernismus ist wohlfeil: Ja, es sind Zeiten, die dazu verführen, in die Einöde zu ziehen, sich die Ohren zuzuhalten und mit niemandem mehr etwas zu tun haben zu wollen. Wenn im Angesicht von Familientragik, Krankheit und Tod die eigene Vanitas dämmert, ist das ein nachvollziehbarer Reflex. Aber das kann es doch nicht sein! LUCA VAZGEC
Edo Popovic: "Das Leben: es lebe!". Roman.
Aus dem Kroatischen von Mascha Dabic. Voland & Quist, Berlin/Dresden 2024. 160 S., geb.
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