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Die «Lebensbilanz» der Literatur-Nobelpreisträgerin - und eine große Geschichte über Schuld und Schulden.

Ein steuerliches Ermittlungsverfahren, das zwar inzwischen längst eingestellt wurde, das aber selbst intimste E-Mails auswertete, wird für Elfriede Jelinek zum Anlass, auf ihre «Lebenslaufbahn» zurückzublicken Erstmals erzählt sie literarisch die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie. In die persönlichen amtlichen Angaben schieben sich Berichte über das Schicksal von Verwandten, die während der Nazizeit aus Österreich fliehen mussten, die deportiert und ermordet wurden. Zugleich führt der private Finanzfall auch zum Nachdenken über globale Kapitalströme. Wie sehr profitieren Staaten bis heute von enteignetem jüdischem Vermögen? Wie viele NS-Größen wurden umgekehrt nach 1945 anstandslos entschädigt? Und was sind aktuelle Steuersparmodelle oder handfeste Betrugsskandale, von Cum-ex-Geschäften bis zu Wirecard?

So autobiografisch wie allgemeingültig, so sarkastisch wie wütend rechnet Jelinek in Angabe der Person nicht nur mit sich, sondern auch mit einer Gesellschaft ab, die sich eher für die Täter als für ihre Opfer interessiert - und verfolgt die weit verzweigten Wege des Geldes als eines der größten Geheimnisse in der modernen Wirtschaft.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
15. November 2022
Sprache
deutsch
Auflage
3. Auflage
Seitenanzahl
192
Autor/Autorin
Elfriede Jelinek
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Gewicht
305 g
Größe (L/B/H)
212/133/23 mm
ISBN
9783498003180

Portrait

Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, geboren 1946 und aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Pressestimmen

Vielleicht der zugänglichste, menschlichste Jelinek-Text der letzten Jahre brillant, humorvoll und scharfsinnig. Martin Pesl, nachtkritik. de

Das Buch ist wütend und lustig zugleich. Wütend, weil es Jelinek um sehr vieles geht, was sie zu Recht empört. Lustig, weil sie noch in jedem Satz durch ein paar Drehungen die Pointe sucht. Andreas Tobler, Tages-Anzeiger

Jelineks Genialität liegt nicht in der Bekanntmachung katastrophalen Unrechts. Es ist ihre Reflexionsfähigkeit, die ständige Überprüfung des Allgemeinen an der eigenen Person, ihr sprachlicher Schalk, die Aufzählung himmelschreiender politischer Fehler. Verena Auffermann, Deutschlandfunk Kultur

Ein kafkaeskes, komisches und kurzweiliges Zeichen gegen die Absurdität der Bürokratie. Andreas Rosenfelder, Welt am Sonntag

Notwendig ist dieses Buch als ein Lebenszeichen, nicht der Person Elfriede Jelinek, sondern ihrer Sprache: als Machtdemonstration. HANNA ENGELMEIER, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wie kaum einer anderen Schriftstellerin ihrer Generation gelingt es Elfriede Jelinek, uns die Widersprüche unserer Epoche so aufzuzeigen, dass uns das Lachen im Hals stecken bleibt . . . An Jelinek kommt heute niemand mehr vorbei. Zu Recht, denn ihre virtuose Radikalität wirft ein Licht auf Schattenzonen unserer Zeit, das gleißender nicht sein könnte. Björn Hayer, Bücher am Sonntag (Beilage NZZ am Sonntag)

Ein Textgewebe, das äußerst feinfühlig, mit Esprit, Ironie und auch klagender Wehmut über den Ist-Zustand der Welt geflochten ist. Kurz: Elfriede Jelinek in Bestform. Judith ; Andreas Heitkamp ; Trojan, Bayern 2 "Diwan"

Ein ganz und gar außergewöhnliches Buch eine kühne, hoch virtuose Provokation Da legt jemand Bilanz über ein Leben ab, auf dem tonnenschwer die Geschichte des 20. Jahrhunderts lastet. Heinz Sichrovsky, News

Das Tatsächliche und die Gerüchte, die Ursachen und die Wirkungen wechselneinander in unaufhörlicher, rasender Weise ab. Elke Schmitter, Die Zeit

Für Jelinek-Fans ist 'Angabe der Person' ein rauschendes Fest. Nadine Kreuzahler, NDR Kultur

Jelineks einzigartige Stärke: die Magie eines Schreib-Sprechens, das widerspenstigist Alles besitzt einen Sog, sodass man einfach weiterlesen muss Wir brauchen Elfriede Jelinek, die mutig niemals Aktualität meidet, dabei jedoch nie doof-didaktisch labert, sondern unsere Intelligenz respektiert, indem sie Kunst schafft. Simone Dattenberger, Münchner Merkur

Eine Suada der Empörung, ein unablässiger Gedankenstrom. Er öffnet die Tür insurreal anmutende Wirklichkeiten und ist fürchterlich wahr. Frank Dietschreit, Mannheimer Morgen

Ein prototypischer Jelinek-Text. Rhythmus, Takt und assoziativ gesetzteTempowechsel sind ebenso wichtig, nein, wahrscheinlich wichtiger als die Inhalte Wohltuend ist Jelineks Humor, der auch auf ihre eigenen Kosten im Text ein umsandere Mal aufblitzt. Günter Kaindlstorfer, Deutschlandfunk "Büchermarkt"

Es ist immer wieder faszinierend, Jelineks Bewusstseinsströmen zu folgen, denhämmernden Fragen und wühlenden Erinnerungen, ihrem wunderbarenGalgenhumor. Profil

Eine rasante, rhythmische, an tiefschwarzem Humor, an Hohn und Selbstironiereiche Komposition, Suada und Lamento zugleich, gerichtet an die heimischeVollkasko-Mentalität. Werner Krause, Kleine Zeitung

Besprechung vom 28.12.2022

Hauptsache, Geld wälzt sich nicht herum
Elfriede Jelineks atemloser literarischer Monolog über die deutsche Steuerfahndung

"Ist Schreiben die Gabe der Schmiegsamkeit, der Anschmiegsamkeit an die Wirklichkeit? Man möchte sich ja gerne anschmiegen, aber was geschieht da mit mir? Was geschieht mit denen, die die Wirklichkeit gar nicht wirklich kennen? Die ist ja so zerzaust. Kein Kamm, der sie glätten kann." Mit diesen Worten eröffnete Elfriede Jelinek im Herbst 2004 ihre Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises, an der sie aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen konnte, "Angststörung", so ihre Selbstdiagnose.

"Anschmiegsam" und "zerzaust" - in dieser Dichotomie bewegt sich auch der neue Text der österreichischen Schriftstellerin: "Angabe der Person", direkt nach Publikation auch schon für die Bühne adaptiert (F.A.Z. vom 19. Dezember). Der Anlass für das Buch war zunächst banal: Vor einigen Jahren wurde bei Jelinek eine Steuerprüfung durchgeführt, weil sie sowohl in ihrer Heimatstadt Wien als auch in München lebt, wo ihr Mann, der Informatiker Gottfried Hüngsberg, wohnte, mit dem sie seit 1974 verheiratet war. Anfang September 2022 ist Hüngsberg gestorben. Diese Nachricht liegt wie ein bleierner Schatten über dem zuvor geschriebenen Text - für den Leser wie wohl auch für die Schriftstellerin eine unerwartete, fast unerträgliche Hypothek.

Das Finanzamt München hatte Jelinek angezeigt, weil sie auch in Deutschland Steuern zu bezahlen hätte. Das Verfahren ist längst eingestellt, aber es rumort weiterhin mächtig in der Autorin, denn hier ist ihr etwas Ungeheuerliches widerfahren. Die Ermittlungsbeamten hatten ihr gesamtes Schriftwerk abtransportiert: Manuskripte, Festplatte, private E-Mails, Briefe. "Das ist das Schlimmste für mich. Daß sie alles Geschriebene von mir haben. Damit kann ich nicht leben, deshalb schreibe ich es hier, ich schreibe auf, was mein Leben ist, und dann schmeiße ich es weg." Jelinek begehrt auf, erhebt Anklagen in einem fast zweihundertseitigen Monolog, wie in einem Selbstgespräch, in dem alle, die in diese Infamie verwickelt waren, zur Rechenschaft gezogen werden sollen - auch historisch.

Gleich auf der zweiten Seite schlägt Jelinek jenen Ton an, der sie in Erregung und Aufregung versetzt. Gegenwart und Vergangenheit begegnen sich fatal: "Wollen Sie etwa behaupten, Sie wurden verfolgt? Nein. Ich beklage mich ständig, aber nein, verfolgt wurde ich nicht. Verfolgt wurden andere. Ihr Gold ruht sanft in den Tresoren, mein Schatzl, hast du was Schriftliches?, nein, Hauptsache das Geld ruht gut und sicher und wälzt sich in der Nacht nicht schlaflos herum . . . Mein Opa war Buchbindergehilfe, woher hätte er es nehmen sollen und nicht stehlen? Der wurde ja selbst deponiert, in einer geheimen Wohnung, mit anderen zusammen, mein mittelloser Opa im Versteck mit anderen, mein Opa war ein Jammerer, unaufhörliches Geseire, hierhin wollte er nicht, dorthin wollte er nicht, in ein sicheres Drittland wollte er nicht, es hat sich ihm auch keins angeboten, ins KZ wollte er auch nicht, er war halt wählerisch, nirgendwohin wollte er, nur bleiben, wo er war, aber das ging nicht."

Beklemmend und düster verknüpft Jelinek die Härte des Finanzkapitals mit Unbarmherzigkeit oder Großzügigkeit der Steuerbehörden, je nachdem, wer vor ihren Schranken steht. Sie zählt minutiös auf, wo der heutige Steuerbetrüger sein Geld auf tropischen Inseln, in Scheinfirmen, in Briefkästen und sonst wo unterbringen kann. Geld ist ein Geisterspiel, auf dessen Klaviatur Schlaumeier virtuos zu spielen verstehen und im Hintergrund willfährige Helfer haben. Vielen ist Jelinek auf der Spur: einem Boris Becker, dem Fußballkaiser Franz Beckenbauer, einem Schraubenkönig, Cum und Ex und dem ehemaligen Kunsthändler Cornelius Gurlitt. Auch die Miturheber dieser Situation bekommen ihr Fett weg, zum Beispiel der Reichsjugendführer der NSDAP Baldur von Schirach, der Reichsstatthalter von Wien wurde und im Februar 1945 von Hitler den Befehl erhielt, die Stadt Wien bis zum Letzten zu verteidigen.

Die Welt sei voll von Schweinereien, kleinen und großen, damals wie heute, so Jelinek. Aber die unschuldigen Toten, die bleiben, können sich nicht mehr wehren, und wenn sie geehrt werden, dann sei es eine peinliche Pflichtübung, nach der man getrost nach Hause gehen kann. Und dann gibt es noch die Flüchtlinge, die auch keiner mag, die in Dreck und Kot versinken und vegetieren müssen, aber die Welt schaut ungerührt zu, auch wenn sie im Mittelmeer ersaufen. Jelinek lässt nichts aus. Sie disputiert wie in Trance, atemlos, schrill und dann wieder ganz zart. Sie stellt Behauptungen auf, widerspricht sich, fällt sich ins eigene Wort, nimmt alles zurück, denn es könnte ja auch alles ganz anders sein. Sarkasmus und Ironie sind ihre Leitformen.

Um es aushalten zu können, musste Elfriede Jelinek Bilanz ziehen. Aber man glaube nur nicht, dass man nun Gewissheit hätte, denn die Autorin fragt sich selbstkritisch (vielleicht auch ein wenig kokett): "Ich bin ich? Wer sagt das bitte? Ich bin keine andre, doch ich auch wieder nicht, mehr als eine andre bin ich nicht, ich kann nichts dafür, mehr Ich wäre schon fein, dann könnte ich mich mit meiner Armee, für die mein Ich mühelos reichen würde, dem Lauf der Geschichte entgegenstemmen oder zumindest einen kleinen Damm gegen sie errichten, es wird sich schon herausstellen, wofür oder wogegen ich dann wäre. Ich warte noch ab." LERKE VON SAALFELD

Elfriede Jelinek: "Angabe der Person".

Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 189 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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