Ein Taugenichts des 21. Jahrhunderts. Zeitweise mit Gitarre statt mit Geige wie bei Eichendorff. Aber ebenso naiv und ebenso untauglich für "normale" Erwerbsarbeit wie der romantische Held. Anders als der zieht Flurin Jeckers Ich-Erzähler zunächst nicht aus, um sein Glück zu suchen. Er scheint mit seiner Tätigkeit als Friedhofswächter ganz zufrieden zu sein. Bis die dreizehnjährige Teresa auftaucht.
Nun könnte man meinen: Wenn ein lernschwacher vierunddreißigjähriger Friedhofswächter die Bekanntschaft eines dreizehnjährigen Mädchens macht, die auf den Friedhof kommt, um das Grab ihres toten Vaters zu besuchen und einen Joint zu rauchen, dann wäre dies der Beginn einer kitschigen Geschichte von einer lebenslangen Freundschaft zweier Außenseiter. Denkste.
Der Friedhofswächter hat, wie Eichendorffs Held, keinen Namen, nennt sich selbst Luchs und wird von anderen auch Traktor genannt. Nicht nett. Er passt nachts auf den Friedhof auf. Eine Arbeit, die auch eine Kamera erledigen könnte, wie er selbst meint. In der Schule hat man ihm eine Lernschwäche bescheinigt. Statt dem Unterricht zu folgen, hat er lieber von seinen Freunden, den Superhelden, geschrieben. Das Mädchen, das er auf dem Friedhof kennenlernt, ist wie er selbst seelisch beschädigt. Sie kann in ihm aber einen Funken entfachen, der sein Leben durcheinanderbringt. Schließlich bringt sie ihn dazu, sich eine Gitarre zu kaufen:
"Ich sagte, dass ich doch eine Gitarre kaufen möchte und zwar eine teure, weil es nicht mein Ziel war, an meiner Beerdigung Hunderternoten zum Schnäuzen verteilen zu können. [...] Und darum hatte ich am Schluss eine Gitarre, von der man glauben konnte, sie hätten den halben Urwald dafür abgeholzt".
Die Gitarre ist dann aber doch nicht das Richtige, obwohl er nach einem Youtube-Tutorial sofort "Horse with no Name" (zwei Akkorde) spielen kann. Der nächste Ausbruchsversuch führt ihn nach Spanien, in Erinnerung an beglückende Ferien in Spanien mit Mutter und Tante in seiner Jugend. Nach Santa Tereza, wieder mit Mutter und Tante. Diesmal sind die beiden allerdings schon verstorben, was der völlig absurden Konversation mit ihnen allerdings keinen Abbruch tut.
Jeckers Ich-Erzähler rekapituliert in einem scheinbar naiven Erzählton seine Kindheit und Jugend in einer ganz eigenen, vom Mündlichen geprägten, oft anstrengenden Sprache, der nicht immer ganz leicht zu folgen ist: mit Halbsätzen, Nebensatzreihungen, Gedankensprüngen, sehr viel indirekter Rede. Der Text ist gespickt mit grotesken und oft sehr lustigen Passagen, beispielsweise zu seinem Arbeitsversuch als Telefonagent bei einer Firma, die im Streaming-Zeitalter Video-Abos verkaufen will.
"[U]nd es war alles, alles gut!", heißt es am Schluss bei Eichendorff. Hier nicht. Aber versöhnlich endet der Taugenichts im 21. Jahrhundert auch.
Für Traumwandler, Glückssucherinnen und Freunde des absurden Humors!