Kalifornien wird seit Monaten von einer verheerenden Dürre geplagt, als ein Schiff aus dem fernen westlichen Pazifik eine ungewöhnliche Messung meldet. Ein junger Meteorologe in San Francisco nimmt die Anomalie zur Kenntnis und tauft sie insgeheim Maria.
Mit rasanter Geschwindigkeit wächst Maria zu einem gewaltigen Sturm heran, entwickelt ein Eigenleben und bahnt sich ihren Weg von der Pazifikküste in die Sierra Nevada und darüber hinaus. Meteorologen, Schneepflugfahrer, ein General, ein Liebespaar und eine unglückliche Eule verfolgen Marias zerstörerischen Weg durch die USA mit ebenso großer Sorge wie Faszination. Der Sturm fegt durch die Staaten, bringt lang ersehnten Regen, überflutet Täler, vergräbt ganze Bergketten im Schnee, und macht den Menschen unbestreitbar bewusst, wie sehr das Wetter ihr Leben bestimmt.
Inhaltsverzeichnis
Besprechung vom 05.01.2025
Warum Sturmtiefs weiblich sind
In "Sturm" erzählte George R. Stewart vor 80 Jahren, was es heißt, kollektiv zu handeln. Und der Wissenschaft zu vertrauen.
Vor ein paar Jahren forderte die "Zeit" in einem Leitartikel lautstark eine klimabewusste Literatur: Romane also, die sich dem allerdrängendsten Anliegen der Gegenwart widmen, der Erderwärmung mit all ihren Folgen. Das wurde direkt zurückgewiesen - entweder, weil es solche Romane längst gab, auch auf Deutsch, oder weil so eine Politisierungsquote nicht zur Freiheit der Literatur passe. Inzwischen ist die Klimaerwärmung als Stoff erzählender Literatur in allen Verlagsprogrammen präsent. Gleichzeitig beginnt so etwas wie eine retrospektive Kanonbildung der Katastrophe: die Suche nach Romanen aus der Literaturgeschichte, die schon früh zur Sprache brachten, was jetzt alle brennend interessieren sollte. Eine Art von Aufwertungsversuch, denn wenn so ein Stoff von heute auch eine Geschichte hat, erscheint es noch legitimer, ihn zu erzählen.
Zu dieser Geschichte und zur Kanonbildung gehört "Sturm", der dritte Roman des amerikanischen Autors George R. Stewart (1895-1980). Stewart war Professor für Englische Literatur an der Universität Berkeley (Spezialgebiet Namenskunde) und so etwas wie der Frank Schätzing oder vielleicht besser: der Bernhard Kegel seiner Zeit. Er schrieb Wissenschaftsthriller über Seuchen und Naturkatastrophen. Sein berühmtestes Werk, "Earth Abides" von 1949, wurde gerade eben auch als Serie verfilmt und gehört zum Letzter-Mensch-auf-Erden-Genre, es lässt sich als hellsichtiger Schlüsselroman für die Corona-Pandemie lesen, weil darin ein Virus die Zivilisation auf den Nullpunkt bringt.
"Sturm" von 1942 erscheint jetzt zum dritten Mal auf Deutsch, übersetzt von Jürgen Brôcan und Roberta Harms, die Stewart in ihrem Nachwort "einen ungeheuren Weitblick" bescheinigen, "der heute an Brisanz noch einmal zugelegt hat. Das Klima ist selbstverständlich nicht regional oder national begrenzt, sondern es entsteht global."
"Sturm" erzählt von zwölf Tagen im Leben eines extremen Wetterereignisses in einem Winter um 1940. Und auch wenn der Hauptschauplatz der amerikanische Westen ist, wandert der Blick tatsächlich immer wieder über die Grenzen des Kontinents hinaus. Die Hauptfigur der Geschichte ist der Sturm selbst - wie er sich aufbaut, zuschlägt, das Land in Regen und Schnee eindeckt und sich schließlich wieder in Luft auflöst. Wir sehen dem Sturm dabei aus den Augen der Menschen zu, die ihn begleiten, erforschen, erleben und zu verstehen versuchen. Die meisten sind Männer, sie arbeiten in Wetterstationen, im Straßenverkehrsdienst, bei der Polizei und in der Armee. Der Sturm aber trägt einen Frauennamen: "Maria". Ein junger Meteorologe hatte ihn so getauft, nach seiner Ex-Freundin. Wie Brôcan und Harms es in ihrem Nachwort erklären, ließ sich der National Weather Service in der Wirklichkeit von Stewarts Roman inspirieren: Sie gaben Tiefs ab 1953 weibliche Vornamen.
"Sturm" liest sich wie ein amerikanischer Katastrophenfilm der Siebzigerjahre, wie "Erdbeben" mit Charlton Heston in der Hauptrolle: ganz normale Menschen, die ihrem Alltag nachgehen, in die Bank fahren, im Diner bedienen, ein paar Techniker, die langsam merken, dass sich da was anbahnt, und sich gegen das Unheil stemmen, als es losbricht. Nur dass es diesen einen Helden, wie ihn Heston in "Erdbeben" gespielt hat, auch eine kalifornische Geschichte, bei Stewart nicht gibt. Im Gegenteil, der Reiz dieses achtzig Jahre alten Romans - und vor allem seine Gegenwärtigkeit - liegt darin, wie er eine kollektive, forschungsbasierte Reaktion auf Naturereignisse beschreibt. Daten sammeln, studieren, auswerten, Karten zeichnen, Maßnahmen justieren, das Richtige tun. Nicht auf Beschwichtigungen oder Durchhalteparolen setzen, auf gefühltes Erfahrungswissen oder Bauernweisheiten: "Im Englischen heißt es noch heute: 'Rain before seven, / Clear before eleven.' In anderen Sprachen sagt man derartigen Unsinn nicht - nicht, weil man schlauer ist, sondern weil diese Zahlwörter sich dort nicht reimen."
Eine seltene Stelle von Humor. Sonst ist George R. Stewart eher der Typ Epiker: "Eine stolze Stadt, auf Hügeln errichtet, perlgrau in der Wintersonne, von Rauch und Staub gereinigt durch einen steten Wind vom Meer. Eine Stadt, letzte Wächterin im Westen, die hinausblickt auf weites Gewässer, wo der Westen am Ende zum Osten wird, ein Raum, so weit, als könne er die Zeit, die uralte, überwinden und den Kalender dazu bewegen, einen Tag zu verlieren." Doch so elegisch der Ton ist, den Stewart für seinen Roman gewählt hat, so weit er darin auch immer wieder zurückgreift auf die Menschheitsgeschichte, auf Mythen und Sagen: Wenn "Sturm" etwas feiert, dann ist es Sachlichkeit. Das nation building der Sekundärtugenden. Den zivilen Dienst an der Gesellschaft. Im Katastrophenfilm würde so eine Haltung eher von einem Kopfmenschen wie Tom Hanks verkörpert als von einem Kraftpaket wie Charlton Heston.
Aber wie gesagt, in "Sturm" gibt es gar keine Helden und auch keinen Bedarf danach, und das unterstreicht der Namenskundler Stewart mit einer einfachen erzählerischen Entscheidung. Der "Chef", der "Junior-Meteorologe", der "Oberstraßeninspektor": Die Figuren in diesem Roman tragen keine Namen, außer Maria, natürlich, der Sturm selbst, der am Ende einige Menschen das Leben gekostet haben wird, der aber dann wieder verschwindet, bis er, in anderer Gestalt, unter anderem Namen, wiederkommt. Kollektives Handeln selbstbewusster, aufgeklärter Individuen, darum geht es in diesem Buch. Und darum, der Unbestechlichkeit und Selbstskepsis der Wissenschaft zu vertrauen.
Ganz am Anfang betritt der "Chef" sein Wetteramt in Kalifornien und sieht auf das Dach hinaus, wo seine Kollegen in diesem Moment die Instrumente ablesen: "Überall schauten in dieser Minute die Beobachter in den Wetterstationen auf die Thermometer und Barometer und blickten in den Himmel, um zu prüfen, wie stark wolkenverhangen er war. Unvermittelt stellte er sich sämtliche Beobachter überall auf der Welt vor. In Paris und London lasen sie die Instrumente ab und hatten noch viel Zeit bis zum Mittagessen. In Rio war es neun Uhr morgens, in New York sieben Uhr. Hier an der Pazifikküste wälzten sich die Männer zu einer überaus lästigen Stunde schläfrig aus dem Bett. In Alaska war es allerdings schlimmer. In Neuseeland blieben die Beobachter um diese Zeit höchstwahrscheinlich noch auf, bis sie ihre Instrumente abgelesen hatten, und gingen erst danach zu Bett."
Der Chef spürt in diesem Moment "aufkeimenden Stolz auf den eigenen internationalen Beruf, in dem man gegen Naturgewalten kämpfte, nicht gegen seine Mitmenschen". Als "Storm" 1941 erschien, im Jahr des Kriegseintritts der Vereinigten Staaten, und kurz darauf und dann ein zweites Mal 1950 auf Deutsch übersetzt wurde, wird man die Geschichte realpolitischer gelesen haben als heute, aber am Ende beim gleichen Ergebnis herausgekommen sein: kollektives, aufgeklärtes Handeln als Gebot der Stunde. TOBIAS RÜTHER
George R. Stewart, "Sturm". Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Brôcan und Roberta Harms. Hoffmann und Campe, 384 Seiten
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