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Besprechung vom 22.03.2025
Karlsruhes Präsidentin
Feministinnen schätzten Jutta Limbach, aber auch Kohl: Wer war die erste Frau an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts?
Von Stephan Klenner
Von Stephan Klenner
Als Jutta Limbach 1994 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts wurde, freuten sich feministische Sozialdemokratinnen ebenso wie linke Staatsrechtslehrer. Auch die CDU-Spitzenmänner Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble waren hochzufrieden. Jutta Limbach verstand es, Menschen unterschiedlicher Weltanschauung von sich zu überzeugen. Als sie im Jahr 2002 altersbedingt den Karlsruher Präsidentenstuhl räumte, schrieb die F.A.Z., man müsse sie "fürchten und lieben zugleich". Limbach vereinte Kontraste: Viele nahmen sie als freundlich-mütterlich wahr. Die Spitzenjuristin war aber auch durchsetzungsstark und rhetorisch versiert. Sie selbst sagte recht offen, eine Karriere wie ihre könne man nicht nur mit Nettigkeit erreichen.
Limbachs Weg in eines der höchsten Staatsämter war nicht vorgezeichnet. Erst im Alter von 54 Jahren wechselte die Sozialdemokratin von einer Juraprofessur in die Berufspolitik. Als Justizsenatorin unter Walter Momper (SPD) und Eberhard Diepgen (CDU) gestaltete sie den Umbau der Berliner Gerichte in den Wendejahren. Auf die Richterbank des Bundesverfassungsgerichts kam sie als Außenseiterin. Zuvor hatten sich ihre damals deutlich prominenteren Parteigenossen Jürgen Schmude und Herta Däubler-Gmelin nicht durchgesetzt. Schon nach wenigen Monaten in Karlsruhe wurde Limbach Gerichtspräsidentin. Das Amt wurde vorzeitig frei, da die Bundesversammlung ihren Vorgänger Roman Herzog zum Bundespräsidenten wählte. Als erste Frau an der Gerichtsspitze leistete sie wertvolle Pionierarbeit im Sinne der Gleichberechtigung - so war es bereits gewesen, als sie 1972 erste Juraprofessorin der Freien Universität und 1989 erste Justizsenatorin Berlins wurde.
Limbachs Karrierepfade sind nicht nur deshalb spannender Stoff für eine Biographie. Der Geschichtsprofessorin Gunilla Budde ist es gelungen, aus diesem Stoff ein lesenswertes Buch zu machen. Das Werk ist unterhaltsam geschrieben. Die Autorin verzichtet auf einen akademischen Duktus. Der Leser erhält umfassende Einblicke in Limbachs Leben, die der Öffentlichkeit bisher verborgen waren. Budde hat nicht nur den Nachlass Limbachs im Koblenzer Bundesarchiv ausgewertet, sondern von deren Ehemann auch Tagebücher der 2016 verstorbenen Spitzenjuristin erhalten.
In ihrem Vorwort schreibt die Autorin, der Impuls für die Biographie sei bereits im Jahr 2011 von Limbach selbst gekommen. Budde hatte sie damals zu einer Rede anlässlich des Weltfrauentages an die Oldenburger Universität eingeladen. Beim anschließenden Umtrunk an der Hotelbar entstand die Biographie-Idee. Die Historikerin griff sie zunächst nicht auf, kam aber später darauf zurück. Für ihre Recherchen führte sie nach Limbachs Tod umfangreiche Interviews mit deren Familie, langjährigen Mitarbeitern und Vertrauten.
Die Biographie profitiert davon. Dem Leser fällt es leicht, sich in Limbachs Leben hineinzuversetzen. Insbesondere aufgrund der Tagebücher werden immer wieder Emotionen der Protagonistin greifbar - etwa wenn Limbach eine Journalistin als "dumme Ziege" bezeichnet, nachdem sie früher als gewünscht über Limbachs Ambitionen auf das Karlsruher Richteramt berichtete.
In den ersten Kapiteln lässt sich etwas über die inneren Prägungen der späteren Gerichtspräsidentin lernen: Limbach wird 1934 in eine sozialdemokratische Familie hineingeboren. Ihre Kindheit ist von der Sorge der Eltern bestimmt, aus politischen Gründen anzuecken. Nach dem Krieg, den Limbachs Familie unversehrt im Spreewald übersteht, wird ihr Vater SPD-Bürgermeister von Pankow. Wenig später muss die Familie Hals über Kopf nach Westberlin umziehen, da er die Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der sowjetischen Zone ablehnt. Zum Jurastudium findet Limbach, die politische Journalistin werden möchte, aufgrund des Rates eines väterlichen Freundes. Er meint, Jura sei für Journalisten eine gute Grundlage.
Als Studentin fällt Limbach aufgrund ihrer selbstbewussten Wortmeldungen auf. Sie selbst hielt es für möglich, durch ihre Zeit auf einer Mädchenschule mehr Selbstbewusstsein als andere Frauen entwickelt zu haben. Ihre Promotion erfolgte bei Ernst Eduard Hirsch. Der Rechtssoziologe mit jüdischer Herkunft war nach seiner Vertreibung durch die Nationalsozialisten nach Berlin zurückgekehrt. 1967 beantragte er seine vorzeitige Emeritierung, da ihn die Aktionen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) an die Zeit erinnerten, "als er schon einmal mundtot gemacht worden war".
Limbach kümmert sich danach um den verwaisten Lehrstuhl - und fühlt sich in ihrer Skepsis gegenüber radikalen Weltanschauungen bestätigt. Wenig später wird sie selbst Zivilrechtsprofessorin, zuvor Ehefrau und dreifache Mutter. Die sozialdemokratische Agnostikerin heiratete einen liberalen Katholiken. Sie ließ sich so sehr auf dessen Umfeld ein, dass der Konfessionslosen sogar eine Kandidatur für den Pfarrgemeinderat angetragen wird. Über Jahrzehnte führen die Limbachs eine Fernbeziehung: Familienwohnsitz ist Bonn, Arbeitsort ihres Mannes. Sie ist unter der Woche in Berlin, Karlsruhe oder München, wo sie nach ihrer Zeit als Gerichtspräsidentin die Leitung des Goethe-Instituts übernimmt.
Die Kapitel über das Politikerleben Limbachs sind die informativsten Teile des Buches. Aufgrund der zu dieser Zeit akribisch geführten Tagebücher taucht der Leser voll und ganz in den herausfordernden Alltag der Senatorin ein. Historiker und Juristen werden diese Zeilen gleichermaßen mit Gewinn lesen: Der Umgang Limbachs mit RAF-Gefangenen, mit frisch gestürzten SED-Funktionären und den Altlasten der DDR-Justiz ist interessant und facettenreich geschildert. Enttäuscht wird, wer zur inneren Haltung Limbachs zur Wiedervereinigung etwas Neues erfahren möchte - die Ausführungen dazu sind äußerst knapp.
Sehr eingehend wird hingegen Limbachs Machtkampf mit ihrem Staatssekretär Wolfgang Schomburg beschrieben, aus dem die Senatorin siegreich hervorging. Gleiches gilt für die SPD-internen Beratungen zur Verfassungsrichterwahl. Beide Darstellungen sind spannend zu lesen, leiden aber darunter, dass nur die Perspektive Limbachs und ihrer Vertrauten erzählt wird. Dem Buch hätte es gutgetan, auch innerparteiliche Gegenspieler zu Wort kommen zu lassen. Mit Wolfgang Schomburg, Herta Däubler-Gmelin und Heidemarie Wieczorek-Zeul wären dafür durchaus namhafte Gesprächspartner in Betracht gekommen. Warum Budde mit ihnen keine Interviews führte, bleibt offen. Ähnlich einseitige Darstellungen enthält das Buch zu Limbachs Wirken in Karlsruhe. Hier fehlt die Perspektive konservativer Richter. Die Seiten sind trotzdem informativ: Für Juristen und Journalisten ist es gleichermaßen spannend zu lesen, welche Motive Limbach dazu bewegten, die Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts völlig neu aufzustellen. Zuvor waren die Beschlüsse Karlsruhes zum Kreuz in bayerischen Klassenzimmern und zum Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" auf Unverständnis in der Bevölkerung gestoßen.
Auch zu Kontroversen innerhalb des Gerichts gibt es Interessantes zu erfahren - zumindest aus Limbachs Blickwinkel. Völlig überflüssig ist, dass die Autorin immer wieder eingehend bewertet, wie Journalisten in den 1990er-Jahren über Karlsruher Entscheidungen berichteten. Dies bringt keinen Erkenntnisgewinn - und hätte dem Leser überlassen bleiben sollen.
Gunilla Budde: Jutta Limbach. Ein Leben für Gerechtigkeit. Biografie.
C.H. Beck Verlag, München 2025. 331 S.
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