Ich habe 'Kleine Kratzer' bereits gelesen und auch, wenn das keines meiner Lieblingsbücher war, fand ich die moralisch grauen Figuren darin sehr interessant. Deshalb wollte ich auch gern den Roman der Autorin lesen, bleibe aber angestrengt und irgendwie gleichgültig nach der Lektüre zurück.
Grundsätzlich fand ich den Aufhänger der Geschichte spannend und hätte da viel Potenzial für eine Familiengeschichte voller Ambivalenz gesehen. Doch vor allem der Schreibstil hat bei mir dafür gesorgt, dass ich die Lektüre fast ausschließlich anstrengend fand. Es ist meiner Meinung nach deutlich spürbar, dass Jane Campbell selbst Psychoanalytikerin war, denn die Gedanken der drei Hauptfiguren sind von langatmigen, analytischen und philosophischen Sequenzen geprägt. Und obwohl sie durch einen Schicksalsschlag miteinander verbunden und sich grundsätzlich liebevoll gesinnt sind, habe ich wenig Gefühl für ihre Emotionen bekommen.
Ich hatte insgesamt den Eindruck, dass sich Vieles in der Geschichte wiederholt und zu keinem klaren Ende kommt. Was ich allerdings wieder stark fand, ist Campbells Talent für moralisch fragwürdige und ambivalente Figuren. Das finde ich zwar auch herausfordernd, aber eben in der richtigen Stimmung wirklich spannend. Doch darüber hinaus habe ich mich leider wirklich ziemlich durch das Buch gequält.
Wer Lust hat auf eine sehr anspruchsvolle, philosophische und gedankengetriebene Sprache, wird hier vielleicht ein gutes Leseerlebnis haben. Ich brauche in Geschichten vor allem emotionale Tiefe und zwar gern auch ambivalente Figuren, doch wenn ersteres gänzlich fehlt, tue ich mich schwer.