Joel Dicker kann sogenannte Pageturner schreiben wie kaum ein anderer. Aber es ist auch schwierig mit seinen Romanen. Gerade der letzte war am Ende recht verworren und da zählt, weniger ist mehr. Deswegen war ich wegen des ungezähmten Tieres skeptisch.
Das Buch dreht sich einerseits um den 22.Juni 2022 und um zwei Ehepaare, um Schein und Sein, um Träume, um Geld, und eigentlich mal wieder darum, dass nichts ist, wie es scheint. In geschickten Zeitblenden treibt Dicker die Geschichte voran, erzählt in der Jetzt-Zeit ebenso wie in der Vergangenheit und diese beiden Ebenen verknüpft er sehr geschickt miteinander und gibt dem Leser immer so viel an Informationen, wie es nötig ist und erst recht, um ihn am Weiterlesen zu halten. Und ich finde, dieses Mal übertreibt es der Autor nicht so sehr, überfordert den Leser nicht und lässt die Story am Ende auch nicht zu skurril enden.
Wir haben es hier mit zwei unterschiedlichen Paaren zu tun. Auf der einen Seite die scheinbar vom Leben geküssten Sophie und Arpad Braun und auf der anderen Seite Karine und Greg Liegean. Die ersteren sind Anwältin und Bänker, die anderen beiden sind Verkäuferin und Polizist. Sie sind mehr oder weniger Nachbarn und während Karine sich ein Leben wie das der Brauns wünscht, ist Greg Sophie verfallen und tut Dinge, die ein Polizist in seiner Funktion eigentlich nicht tun sollte. Das am Ende nichts ist, wie es scheint und sich die Dinge schneller wenden als gedacht, ist ein Pluspunkt dieses Romans. So sehr die Handlung auch überzeugt, wie ich finde, hat der Autor die Protagonisten teilweise etwas blass dargestellt. Sicher, sie haben ihre menschlichen Makel, aber weder sind sie sehr verachtenswert noch liebenswert. Karine kommt noch am besten bei weg. Wenn man hinter die Kulissen schaut, gerade bei den Brauns, dann weiß man nicht, ob man das alles so als erstrebenswert ansieht. Und am Ende ist alles nur Fassade und man sieht die Menschen wieder einmal den falschen Idealen hinterherhecheln. Dicker lässt hier aber auch wirklich nichts aus, was es an menschlichen Eitelkeiten und Makel gibt. Selbst Polizisten, die Spannern bis hin zu illegalen Kameras einbauen in Privaträume. Selbst ein Kurzzeitverhältnis mit einer Kollegin kommt auf das Tablett der Zutaten für diesen Roman. Und da wünsche ich mir als Leser, dass er einige Details wirklich weglassen kann, zumal sie für die Geschichte nichts bewirken, außer dass sie Beiwerk sind, die einer Figurenzeichnung nicht wirklich hilfreich sind.
Aber es ist Dicker gelungen, eine Spannung aufzubauen, welche einen schnell als Leser in seinen Bann zieht. Wie ein Sog wirken die Seiten und man kann nicht aufhören, weiterzulesen. Eine Wendung nach der anderen, die Ereignisse überschlagen sich manchmal. Hilfreich hier sind die kurzen Kapitel, die an sich schon das Lesetempo vorgeben. Und man muss nie überlegen, in welcher Zeit man sich befindet, das ist immer sehr eindeutig. Die Sprache ist sehr ausbalanciert und passt sich auch immer den Gegebenheiten an, ohne den Leser zu überfordern, aber auch nicht, den Leser zu langweilen. Das kann Joel Dicker. Es passt am Ende auch alles zusammen, gerade in solchen Romanen immens wichtig. Wobei er immer wieder Gefahr läuft, zu viel zu wollen.
Ein solider Thriller, der sich schnell liest. Auch eine Weile haften bleibt und trotz allem auch zum Nachdenken anregt, gerade, was Menschen wie Brauns betrifft. Doch gemessen an seinen früheren Meisterwerken bleiben hier gute vier Sterne für ein sehr kurzweiliges Buch.