Bilkaus neuer Roman ist in leisen Tönen erzählt. Auf einer Halbinsel in Nordfriesland begegnen sich Annett und Linn, Mutter und Tochter, und müssen einander ganz neu kennenlernen. Linn hatte gerade erst einen Schwächeanfall während ihres Vortrags auf einer Klimatagung und zieht für eine Woche zu Annett, in das Haus ihrer Kindheit. Doch aus einer Woche werden schnell mehrere und dann ist plötzlich nicht mehr Mai, sondern September. Längst fragt sich Annett, was mit ihrer sonst so zielstrebigen Tochter passiert ist, die schon während der Schulzeit wusste, dass Klima- und Naturschutz ihr ganzer Lebensinhalt sein soll, und die nun Tag um Tag mit Kopfhörern auf den Ohren im Bett verbringt. Linn wiederum fragt sich, warum der 20 Jahre zurückliegende Tod ihres Vaters nie von Annett aufgearbeitet wurde, der Standardsatz noch immer einfach nur ein "Johan ist nicht vom Laufen zurückgekehrt" ist.
Beide Frauen finden sich wieder inmitten des Konflikts aus Fürsorge und Freiheit, aus Hoffnungen, die zu Erwartungen geworden sind; sie müssen sich auseinandersetzen mit ihren Vorstellungen des eigenen Lebens und des Lebens der jeweils anderen, mit den Ansprüchen und der Verantwortung ihrer jeweiligen Generation. Immer wieder werden dabei fast wie nebenbei auch Aspekte aus dem Bereich Klima- und Umweltschutz miteingeflochten: Etwa, wenn Linn ihrer Mutter die Begeisterung für Sea Level Maps zu erklären versucht, die sie während ihrer Kindheit verspürt hat; oder, wenn beide in den Tiefen des Watts über die Überreste eines vor Jahrhunderten überfluteten Dorfs wandern.
Einfühlsam und ganz behutsam seziert Bilkau die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die auch eine Beziehung zwischen verschiedenen Generationen ist. Der Roman kommt ohne große Aufregung daher, nähert sich langsam und vorsichtig den zentralen Konflikten an - vielleicht bleibt er dabei manchmal fast schon etwas zu zaghaft, hätte er doch ein wenig mehr "Krach" vertragen können. Dennoch: Die Ruhe hat auch etwas für sich. Allemal ein lesenswerter Roman!