Eine der besterzählten Familiensagas, die ich je gelesen habe, hat nun ihren gebührend-spannenden Abschluss gefunden. Mit "Astrids Vermächtnis" schließt der norwegische Autor Lars Mytting die 300 Jahre umspannende Schwesterglocken-Trilogie und entführt uns rund 20 Jahre nach den Ereignissen des zweiten Bandes erneut ins heimatliche Gudbrandsdal.
Man schreibt das Jahr 1936. Jehans Hekne und seine Frau haben nicht nur moderne Technik ins von Mythen bestimmte Leben im Tal gebracht, sondern auch drei Kinder in die Welt gesetzt. Sohn Tarald, die körperlich beeinträchtigte Esther und Astrid, die nicht nur den Namen von ihrer Großmutter geerbt hat, sondern auch ihre lebenshungrige und zupackende Art. Kein Wunder, dass sie sich so sehr für die Schwesterglocke und das Schicksal ihrer Urahninnen interessiert und eine so enge Beziehung zu Pfarrer Kai Schweigaard hat, der inzwischen kurz vor dem Ruhestand steht.
Mit Astrid steht im dritten Band nun wieder eine starke Frauenfigur im Mittelpunkt der Handlung, die alternierend in Norwegen und Deutschland spielt und sich bis ins Jahr 1945 erstreckt.
Die Bewohner von Butangen bekommen es mit dem erstarkenden Nationalismus, dubiosen als Wissenschaftler getarnten Glockenräubern aus Dresden und schließlich mit der Besetzung durch die Wehrmacht zu tun. Der Krieg, teilweise in all seiner brutalen Realität geschildert, dringt bis ins versteckte Tal. Sowohl der Autor als auch die Umstände fordern den Protagonistinnen mehr ab als je zuvor. Möglicherweise habe ich diesen Teil auch deshalb als Myttings Meisterstück empfunden.
Mit dem schicksalsergebenen Motto Wenn mir müssen, müssen mir ist es längst nicht mehr getan. Bündnisse werden geschlossen, Leben riskiert, jahrhundertealte Geheimnisse gelüftet, Lebenskreise vollendet. Der Autor zeichnet seine Figuren und ihre Lebenswelt bis ins kleinste liebevolle Detail und gewährt ihnen dennoch eine respektvolle Distanz. Einmal mehr verbindet er gekonnt tiefgründige historische Recherche - ich habe hier tatsächlich noch viel Neues über die Verbrechen der Deutschen in Norwegen gelernt - mit den gewachsenen persönlichen Schicksalen seiner Hauptfiguren. Insbesondere den innerlich zerrissenen Kai Schwaigaard lässt Lars Mytting noch einmal zu charakterlicher Hochform auflaufen. Mythen und Moderne wachsen so unaufhaltsam einander, dass das Tal und seine Bewohner am Ende gewachsen in eine neue Zeit aufbrechen können.
Beidem hat der Autor ein wunderbar zu lesendes Denkmal gesetzt.