Besprechung vom 30.11.2024
Was für ein teuflisches Vergnügen
Die Vorfassungen zu Michail Bulgakows Jahrhundertbuch "Der Meister und Margarita" sind auf Deutsch endlich wieder greifbar.
Von Andreas Platthaus
Von Andreas Platthaus
Voland, das ist ein Name, den sich Mephistopheles im zweiten Teil des "Faust" einmal selbst gibt. Michail Bulgakow (1891 bis 1940), begeisterter Goethe-Leser und noch begeisterterer Hörer von Gounods Oper nach dem Stoff, entlehnte ihn für eine Hauptfigur seines Lebensbuchs "Der Meister und Margarita", an dem er ein Dutzend Jahre lang bis zu seinem Tod arbeitete und das erst 1967 erscheinen konnte, weil es eine der schärfsten antistalinistischen Satiren geworden war.
Voland, so heißt bei Bulgakow der Satan selbst, der im Jahr 1929 - das Handlungsjahr kann durch die Altersangabe von Bulgakows Alter Ego im Roman, dem namenlosen Meister, genau bestimmt werden - ins zur sowjetischen Hauptstadt umgemodelte Moskau kommt und dort die sozialistische Gesellschaft gleich doppelt irritiert. Einmal dadurch, dass er zaubern kann, und dann dadurch, dass seine satanische Präsenz den Wahrheitsgehalt der verfemten christlichen Religion bekräftigt.
Voland, das ist auch ein Bestandteil des Verlagsnamens Voland & Quist. Das 2004 gegründete Unternehmen hat ihn in der Tat aus Bulgakows Roman geborgt (Quist verdankt sich einer satanisch gesteuerten engelsgleichen Figur aus Harry Mulischs "Die Entdeckung des Himmels"), und zum zwanzigjährigen Jubiläum schenkte sich das Haus nun einen eigenen Teufelspakt: Aus der Backlist des 2001 untergegangenen DDR-Renommierverlags Volk und Welt sicherte sich Voland & Quist die Nachdruckrechte am 1994 erschienenen vierten Band der legendären deutschen Bulgakow-Werkausgabe. Der bot nicht den Roman "Der Meister und Margarita" selbst, von dem aktuell gleich vier deutsche Übertragungen lieferbar sind, sondern die erhaltenen Frühfassungen des Romans, übersetzt vom nicht minder legendären, heute über neunzigjährigen Thomas Reschke.
Warum ist das ein Teufelspakt? Weil es keine Textdateien gab und sich Voland & Quist dagegen entschied, einen fotomechanischen Nachdruck zu veranstalten. Da rächt sich das verlagstypische ungewöhnlich breite Buchformat: Offenbar wurden die Seiten gescannt, und der resultierende Text wurde für die spezifischen Erfordernisse der Publikation neu gesetzt. Dass man sich dabei die Marotte erlaubte, nach jedem Absatz eine Leerzeile einzufügen, was gerade bei Dialogen zu einem reichlich luftigen Seitenlayout führt - als Geschmackssache geschenkt. Dass aber bei der Texteinrichtung orthographische Fehler oder zusätzliche Absätze (bisweilen mitten im Satz) entstanden, ist bei einer derart sorgfältig erstellten Vorlage, wie sie die Werkausgabe darstellt, ärgerlich. Viele solcher Patzer sind es gar nicht, aber jeder hätte einem Korrekturleser ins Auge springen müssen.
Trotzdem ist es ein Segen, dass es diese Neuausgabe gibt, denn wie "Der Meister und Margarita" zu dem wurde, was er ist, einem - nun ja - Meisterwerk der an solchen nicht eben armen russischen Literatur, ist eine ganz spezielle Geschichte. Bulgakow, der in den Zwanzigerjahren vor allem als Theaterautor populär war, geriet ins Mahlwerk der stalinistischen Kulturpolitik. Er überlebte zwar die Säuberungen (wenn auch leider nicht lange), doch als Schriftsteller fühlte er sich in den letzten fünfzehn Jahren unter Dauerbeobachtung, weshalb er schon 1928 seine zuvor beschlagnahmten Tagebücher nach deren Rückgabe eilends vernichtete (ohne zu bedenken, dass die Sicherheitsbehörden sie natürlich kopiert hatten, weshalb wir heute überhaupt noch etwas daraus kennen; Band 5 der Werkausgabe). Im selben Jahr begann er die Arbeit an "Der Meister und Margarita", in dem ein Schriftsteller auftritt - eben der Meister -, der an seinem politisch heiklen Roman über Pontius Pilatus verzweifelt.
Am Ende wird dieses Buch verbrannt, aber der Meister hat alles noch im Kopf, und ähnlich erging es Bulgakow selbst. Wie viele Vorfassungen seiner Geschichte er schrieb, ist nicht bekannt; im Nachlass haben sich Spuren von mindestens drei erhalten, wobei der Großteil der ersten beiden schon in den späten Zwanzigern der Verfolgungsfurcht des Verfassers zum Opfer fiel. Aber auch noch aus dem Jahr 1933 berichtete seine Frau Jelena, das Vorbild für Margarita in der fulminanten Liebesgeschichte, die Bulgakows Teufelssaga auch ist, über ihren Mann: "Nachts verbrannte er einen Teil seines Romans." Und so sind nur unvollständige Vorfassungen auf uns gekommen, die sich teilweise drastisch vom Inhalt des später publizierten Buchs unterscheiden. Eine seit 1932 entstandene, weitgehend komplett überlieferte Version namens "Der Großkanzler" lässt allerdings schon den kompletten Grundzug erkennen.
Die früheste Fassung, von der nur vier kurze Kapitel im Zusammenhang erhalten sind, die allesamt später von Bulgakow nicht mehr berücksichtigt wurden, trägt den Namen "Der schwarze Magier" - wie jetzt auch diese Sammlung. Das dokumentiert die anfängliche Fokussierung auf den Satan Voland, bevor zunehmend die Liebesgeschichte an Gewicht gewann und schließlich auch den Romantitel übernahm. Obwohl das Buch auch noch 1967 in der Sowjetunion nur gekürzt erscheinen konnte, trat es seinen Siegeszug rund um die Welt sofort an. 1968 schrieb Mick Jagger unter dem Eindruck der Lektüre "Sympathy for the Devil". Und im selben Jahr sorgte Thomas Reschke auf Deutsch für jene Fassung, die heute als verbindlich gilt. "Der schwarze Magier" bietet dazu großartiges Bonusmaterial.
Michail Bulgakow:
"Der schwarze Magier"- Urfassungen des Romans "Der Meister und Margarita".
Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Voland & Quist, Berlin 2024. 439 S., geb.
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