Die Kunstwelt wird von einem spektakulären Knochenfund erschüttert und die Spur führt an den einsamsten Ort der Welt
Die blaue Stunde - wem kannst du noch trauen?
Geheimnisvoll, düster, wendungsreich - ein literarisches Spannungs-Highlight
Die geheimnisumwitterte Künstlerin Vanessa Chapman ist schon lange tot, doch ihre Werke sind berühmter denn je und werden in den renommiertesten Häusern ausgestellt. Als eines Tages ein menschlicher Knochen in einer der Skulpturen Chapmans entdeckt wird, ist die Aufregung groß: Woher stammt der Knochen und wie konnte er Teil eines gefeierten Kunstwerks werden?
James Becker, der Kurator des Museums, begibt sich auf Spurensuche und reist dafür auf die abgeschiedene Gezeiteninsel Eris Island, die nur eine einzige Bewohnerin hat und weit mehr als nur eine dunkle Wahrheit verbirgt.
»Mit dem Kunstweltkrimi 'Die blaue Stunde' knüpft Paula Hawkins an ihren Welterfolg 'Girl on the Train' an. Und spezialisiert sich darin erneut auf das hoch komplizierte Seelenleben ihrer Heldinnen. « Der SPIEGEL
»Mit großem Abstand die beste Paula Hawkins, die ich je gelesen habe. « LEE CHILD
»Die blaue Stunde hat mich mitgerissen wie eine Flut, die so unbarmherzig und so unwiderstehlich ist wie die um Eris Island. « VAL MCDERMID
Besprechung vom 06.01.2025
Logik und Willkür
Krimis in Kürze: Grän & Waldenfels, Paula Hawkins, Sara Ochs
"Eine kleine Stadt in Deutschland" nannte John Le Carré seinen Spionageroman von 1968, und natürlich war Bonn gemeint, die damalige Bundeshauptstadt. Christine Grän, die in den Siebzigerjahren für den "Bonner General-Anzeiger" geschrieben hat, und ihre Ko-Autorin Marianne von Waldenfels gehen in ihrem Kriminalroman "Das Fräulein muss sterben" (Droemer, 348 S., br., 17,99 Euro) ins Bonn des Jahres 1972. Ein Mord im Penthouse, am 27. April, dem Tag, an dem Willy Brandt das Misstrauensvotum übersteht. Das Opfer: eine mondäne niederländische Journalistin, die zu viel wusste und nicht zögerte, von ihrem Wissen Gebrauch zu machen. Die Ermittlerin: Kommissarin Clara Frings, allein im Macho-Mief jener Jahre.
Das ist eine attraktive Grundkonstellation: Die aufgeladenen politischen Verhältnisse der Bonner Republik, die gesellschaftlichen Umbrüche jener Zeit, über denen wie ein Motto Brandts Slogan "Mehr Demokratie wagen" schwebt. So ganz teilt sich diese Brisanz im Buch allerdings nicht mit. Für Frings' Freundin, die Journalistin Elfie, hat Grän zu sehr Maß genommen bei ihrer erfolgreichen Heldin Anna Marx, der Bonner Klatschjournalistin. Und Frings selbst hat sie einen Ministerialbeamten namens Hajo zum Ehemann gegeben, zu spießig, um mehr als eine Karikatur zu sein. Ein leichter Hang zum Holzschnittartigen ist insgesamt nicht zu übersehen. Bei der Aufklärung des Falls, in dem Spionage und alte Nazis vorkommen, hätte man sich auch eine weniger provinzielle Lösung gewünscht.
Die Britin Paula Hawkins hatte 2015 mit "Girl on the Train" einen internationalen Bestseller. Da sind die Erwartungen an jedes neue Buch entsprechend hoch. "Die blaue Stunde" (dtv, 368 S., geb., 22,- Euro) ist, wenn man so will, ebenso sehr Künstlerinnenroman wie Krimi. In der Skulptur der verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman wird von einem Museumsbesucher ein menschlicher Knochen entdeckt. Für die Stiftung, die Chapmans Werk betreut, ist das eine unangenehme Situation. Um den drohenden Imageschaden abzuwenden, muss der Kurator zum Ermittler werden.
Hawkins entfaltet die Story aus mehreren Perspektiven. Sie streut Rückblenden ein oder Tagebucheinträge, sie übertreibt es nicht mit Cliffhangern, sodass ein filigranes Ensemble von Figuren und ihren vielfältigen Abhängigkeiten entsteht. Eine Schlüsselrolle kommt auch dem Schauplatz zu, einer Gezeiteninsel, die bei Flut unerreichbar ist. Doch hat dieses Gewebe einen Nachteil, der einem Krimiplot nie gut bekommt: Trotz vieler so geschickt wie trügerisch gelegter Spuren zeichnet sich viel zu früh ab, welche der beteiligten Personen für den Knochen in der Skulptur verantwortlich ist. Dieser Spannungsabfall lässt sich nur schwer kompensieren.
Im Kino spricht man gern von einem "Viewing Contract", einem Vertrag zwischen dem Film und seinem Publikum. Er besagt, dass eine Erzählung nicht mutwillig Voraussetzungen, die sie selbst etabliert hat, für ungültig erklären und die Zuschauer damit düpieren darf. Daran sollten sich auch Romane halten, wenn sie ihre Leser nicht verärgern und verlieren wollen. Gerade bei Thrillern jedoch gelingt es vielen Autorinnen und Autoren nicht, eine spektakuläre Schlusspointe, die alles zuvor Geschehene plötzlich in ein neues Licht taucht, von einer massiven Verletzung von Wahrscheinlichkeiten zu unterscheiden.
Ein recht krudes Beispiel für die Verwechslung von Logik und Willkür ist der Roman "Das Paradies. Hier kannst du glücklich werden oder sterben ..." (Blanvalet, 416 S., br., 17,- Euro), der im Original schlicht "The Dive" heißt, weil er von den Vorgängen rund um eine Tauchschule auf der thailändischen Insel Koh Sang handelt. Es ist das Debüt der amerikanischen Juraprofessorin Sara Ochs, die offenbar nicht zufrieden war mit einer Story, in der eine Tauchlehrerin, eine Influencerin und eine Gruppe von Expats auftreten, die alle ihre Vergangenheit samt diversen Geheimnissen zurücklassen wollen. Das ist im Prinzip solide gebaut, mit sinnvollen Perspektivwechseln, aber der Twist, den Sara Ochs dem Ganzen am Ende glaubt geben zu sollen, nervt, weil er durch nichts logisch vorbereitet ist. Wer das Buch dennoch lesen möchte, sollte das letzte Kapitel einfach auslassen. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.