Pedro Almodóvar betritt die literarische Bühne: »Der letzte Traum«
Befreiung und Liebe sind die Lebensthemen von Pedro Almodóvar, einem der wichtigsten Filmemacher der Gegenwart, der auch ein leidenschaftlicher Schriftsteller ist. Mit zwölf Erzählungen betritt Pedro Almodóvar nun die literarische Bühne: Sie handeln von Paradiesvögeln und inbrünstigen Sängerinnen, von Schicksalsschlägen und radikalen Zäsuren, sie verhandeln die Abgründe und die Schönheit des Lebens. Wie kein anderer mischt dieser große Geschichtenerzähler tiefe Melancholie und grellen Humor - nicht zuletzt im Blick auf sich selbst.
Schonungslos und poetisch entsteht eine Autobiographie im Spiegel der Literatur, eine Feier des Lebens und der Kunst.
Besprechung vom 29.10.2023
Geschichten träumen mit Pedro Almodóvar
Von Bert Rebhandl
Pedro Almodóvar hat einen Traum. Keinen erfreulichen, eher einen schrecklichen. Er kommt auf einen Filmset, hat einen Drehtag vor sich, viele Menschen warten auf ihn, Beleuchter, Kabelträger, Kameraleute und natürlich Schauspieler. Er möchte die ersten Anweisungen geben, aber irgendetwas klappt nicht. Er kann sich nicht mitteilen, die Atmosphäre ist "dicht", zwischen ihm und der Welt, zwischen ihm und dem Kino ist eine Barriere, über die er nicht hinwegkommt. Vermutlich haben die meisten Filmemacher ab und zu ähnliche Albträume. Und Pedro Almodóvar kann ja auf eine sehr lange Liste von Titeln zurückblicken, die bezeugen, dass er die Barriere immer wieder überwunden hat. Er ist der größte Filmemacher Spaniens, vielleicht sogar Europas. Er ist die Verkörperung des demokratischen Aufbruchs seines Landes, seine Jugend verbrachte er noch in einer klerikal gefärbten Diktatur. Nächstes Jahr wird er 75 Jahre alt, er könnte sich längst zur Ruhe setzen.
Aber dazu hat er noch zu viele Träume. Einer davon ist schon ganz konkret: Im März 2024 erscheint sein Buch "Der letzte Traum". Es enthält Erzählungen, die er im Lauf seines Lebens geschrieben hat. Anstelle einer Autobiographie, die er nie schreiben will. Weil sein Terminkalender sehr eng getaktet ist, macht er jetzt schon einmal ein bisschen Presse für sein Buch. Und so sitzen am letzten Donnerstagnachmittag dieses Oktobers ein paar Journalisten aus allen Gegenden Europas vor ihren Bildschirmen und in einem Zoom-Raum mit Almodóvar.
Der hat einen klassischen Hintergrund gewählt: eine Bücherwand, vielleicht eher die in seinem Verlag als seine eigene. Die stellt man sich ein wenig lebendiger vor, nicht so ehrwürdig und bildungsschwer. Jeder Teilnehmer darf eine Frage stellen, eine zweite geht sich dann auch noch aus, alle warten beflissen reihum, bis sie ihr Mikro einschalten dürfen.
Schriftsteller zu werden, das war sein erster Traum, so kann man es in seinem Buch lesen. Gibt es nun, da er auf eine reiche Karriere im Kino zurückblicken kann, so etwas wie ein spätes Bedauern, dass er das Feld der Literatur nur beiläufig gepflegt hat? "Ich muss realistisch sein. Ich kann kleine Geschichten schreiben und alle meine Drehbücher. Aber einen großen Roman habe ich nicht in mir, das wäre nicht gut genug, da hätte ich höhere Ansprüche." Die Geschichten aus "Der letzte Traum" haben tatsächlich alle eine beiläufige Anmutung und sind in der Lebensgeschichte von Almodóvar verhaftet. Die Titelgeschichte erzählt vom Tod seiner Mutter und von dem Rätsel, das jeder Mensch für die anderen ist - Träume sind nun einmal unerreichbar, niemand kann in die Träume von jemand anderem wirklich hineinschauen.
Eine Kollegin aus Polen fragt Almodóvar danach, ob er - ähnlich wie fast alle seiner Filmfiguren - viel Schmerz in seinem Leben gekannt habe. "Schmerz ist ein Teil unseres Lebens, körperlicher wie seelischer Schmerz", antwortet er. "In meiner Familie gab es immer schon Migräne. Seit 2005 bin ich auch getroffen. Glauben Sie mir, eine Migräne hat mit Kopfschmerzen nichts zu tun. Das ist etwas ganz anderes. Aber was soll ich sagen? Schmerz gibt einem ein tieferes Verständnis des Lebens."
In der ersten Geschichte seines Buchs kommt eine Frau in einem extravaganten Kleid, mit dem sie ihre Verehrung für Marlene Dietrich kundtut, in ein katholisches Internat und konfrontiert dort den Schulleiter mit den Sünden, die an ihrem Bruder begangen wurden. Almodóvar ging selbst in eine solche Schule, sexuelle Repression und deren Überwindung sind ein Lebensthema. "Wenn die Kirche ihre Priester heiraten lassen würde, wenn sie den Zölibat abschaffen würde, wenn alle Kleriker ein sexuelles Leben haben könnten: Ich bin sicher, neunzig Prozent der Missbräuche würden unterbleiben. Ich wusste damals von vielen Fällen in meiner unmittelbaren Umgebung. Drei Jahre lang war ich ein ,interno', lebte im Internat, es war wie 'Big Brother'."
Als er zehn Jahre war, bekam er von seiner Mutter eine Schreibmaschine geschenkt. Und als er aus La Mancha nach Madrid kam, entdeckte er Super 8. Almodóvar war für ganz Europa ein Pionier einer queeren Gesellschaft, in der Menschen ihre Rollen wechseln konnten und immer wieder auch mussten, um dem Leidensdruck zu entkommen, der ihnen von den Traditionen auferlegt wurde. Derzeit ist er viel in New York, weil er dort ein Kammerspiel mit Cate Blanchett drehen möchte. Doch seine wahre Heimat bleibt Madrid: "Ich brauche die Geräusche der Stadt vor meinem Fenster, um mich wohlzufühlen." Das Schreiben, und zwar nicht nur von Drehbüchern, ist inzwischen sein täglicher Begleiter. "Ich habe nie Tagebuch geführt, aber inzwischen mache ich etwas Vergleichbares. Ich notiere mir etwas aus dem Leben und verwandle es in kleine Erzählungen. Man nennt das Autofiktion."
Wenn später einmal jemand den Nachlass von Pedro Almodóvar aufarbeitet, wer weiß, vielleicht findet sich dann sogar ein unerwarteter Text, den man als eine Art Roman lesen kann. Bis dahin möge er aber noch viele Filmsets betreten und sich dort problemlos Gehör verschaffen.
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