Eine andere Politik ist möglich. Wir müssen nur die allzu lange eingeübten Haltungen und Bedingungen ändern. Als Praktiker und langjähriger Oberbürgermeister hat Peter Kurz erfahren, was gute Politik erschwert oder gar verhindert. Denn es sind die Städte und Kommunen, wo die Gesetze aus Berlin auf die Realität prallen und auf die Schwierigkeiten bei ihrer Umsetzung stoßen. Hier lassen sich Erfahrungen machen, was funktioniert und was nicht, welche politische Idee wirklich Gewinn bringt und welche nicht. All die großen Themen wie Klimawandel, Bildung, Migration, Wohnen, Mobilität, Gesundheit oder die Bewahrung der Demokratie spielen sich letztlich auf kommunaler Ebene ab, weil sie hier ihre konkrete Umsetzung erfahren. Wir müssen von den Städten lernen, dann wird die Politik auch besser! Fern von Ideologie und Parteipolitik zeigt Peter Kurz, worauf es ankommt und wie der notwendige Wandel eine Chance bekommt.
Besprechung vom 27.08.2024
Umzingelt von Wirklichkeit
Ganzheitlich und pragmatisch denken und handeln: Ein erfahrener Kommunalpolitiker gibt Ratschläge, wie Kommunalpolitik sein sollte.
Die Stadt ist die Lebensform der Gegenwart und der Zukunft, (mindestens) deskriptiv betrachtet: Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten - die Zahl steigt stetig an. In Deutschland sind sogar mehr als zwei von drei Bürgern Stadtbewohner, insgesamt 60 Millionen Menschen. Unterschiedliche Lebenswelten, verschiedene Ansichten, Konflikte und Kompromisse - all das verdichtet sich in der Stadt, im Zusammenleben auf begrenztem Raum.
Wer wüsste das besser als diejenigen, die dieses Zusammenleben regeln? Peter Kurz war 16 Jahre lang Oberbürgermeister von Mannheim. Nun hat er ein Buch mit dem Titel "Gute Politik. Was wir dafür brauchen" verfasst. In zehn kurzen Kapiteln schildert der promovierte Jurist Beobachtungen und Vorschläge. Seine Kernbotschaft: Globalen Herausforderungen muss auf lokaler Ebene begegnet werden. "Die Stadt bietet bessere Voraussetzungen für eine zeitgemäße Politik, die den Herausforderungen gerecht wird", schreibt Kurz. Kommunale Politik müsse pragmatischer und "ganzheitlicher" denken und handeln als nationale Politik, sie sei "fast immer raumbezogen", da die Verantwortlichen näher dran seien an den Bürgern.
Kurz fordert, Städten und deren Erfahrungen mehr Bedeutung auch auf anderen politischen Ebenen beizumessen. Die Bedeutung der Kommunen werde "systematisch unterschätzt", "weil Politik als Top-down-Vorgang gedacht und gestaltet wird". Um das zu verändern, müsse nicht an Kooperationsverboten zwischen Bund und Kommunen gerüttelt werden, auch bedürfe es keiner neuen Gremien - sondern lediglich einer grundlegend anderen Haltung und einer neuen Praxis, etwa in Form informeller Treffen.
Konkreter wird Kurz bei den zentralen Steuerungsmitteln der Politik: Standards und kleinteiligen Förderprogrammen. Der ehemalige Oberbürgermeister kritisiert, in Deutschland werde nur gesteuert, wie viel Geld für was ausgegeben werde. Nicht aber, welche Wirkung es erziele - und welche Wirkung überhaupt erzielt werden soll. "Der theoretisch richtige Gedanke genügt uns", schreibt Kurz. "Er bleibt auch dann 'richtig', wenn er in der realen Welt nicht das gewünschte Ergebnis erzielt hat." Die Einführung von Wirkungszielen ist eine von Kurz' zentralen Forderungen.
Dass seine Beobachtungen dabei dezidiert nicht die "Sicht von Politologie und Verwaltungswissenschaft" wiedergeben, begrenzt den Erkenntnisgewinn. Der Autor hätte dem Leser die Unterscheidung zwischen Input, Output, Outcome und Impact darlegen können - gespickt mit Beispielen aus der Stadt, der er vorstand. Doch das Werk bleibt an vielen Stellen relativ oberflächlich. Etwa wenn Kurz das Konzept der "Sanctuary Cities" - ein Paradebeispiel für autonomes Handeln von Städten, teilweise in starker Abgrenzung zur nationalstaatlichen Politik - in zwei Sätzen abhandelt. Das ist auch deshalb schade, weil das Kapitel zu Migration und Integration, in dem sich die Stelle findet, eines der besten ist. Kurz legt dort stringent dar, welche Potentiale der kommunalen (in Abgrenzung zur nationalen) Ebene beim Thema Integration innewohnen. Der Nationalstaat behalte sich bei Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus Ausweisung und Abschiebung vor und biete ihnen deshalb keine Zukunftsperspektiven; die Stadt hingegen sei an einem funktionierenden Zusammenleben interessiert - und müsse dafür all ihren Einwohnern Perspektiven bieten. Der ehemalige Oberbürgermeister fordert daher Integrationsmöglichkeiten für jeden, der hier ist, und eine Rhetorik, die Werte statt Abgrenzung betont.
Gelungen ist auch das Kapitel "über das Missverständnis der Politik als Dienstleistung", in dem Kurz schlüssig erläutert, wieso Parteien vor Ort eher auf Stimmungslagen reagieren, anstatt "als gestaltende Kraft in die Gesellschaft zu wirken", und Vorschläge unterbreitet, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Beim Thema Nachhaltigkeit argumentiert Kurz ebenfalls überzeugend, "lokal nachvollziehbare" und "lokal bearbeitbare" Themen, die "die Notwendigkeit von Veränderung greifbar machen", müssten im Zentrum lokaler Politik stehen.
Lokale Verantwortliche, schreibt Kurz, seien im Vergleich zu Politikern auf anderen Ebenen "viel mehr umzingelt von Wirklichkeit". Was diese Wirklichkeit in Mannheim, der multikulturellen 300.000-Einwohner-Stadt im Norden Baden-Württembergs, ausmacht, darüber lässt der Autor seine Leser jedoch weitestgehend im Unklaren. Wenn Kurz etwa den intensiven Austausch zwischen den verschiedenen politischen Ebenen während der Corona-Pandemie lobt und dafür plädiert, diesen im Rahmen einer "Multi-Level-Governance" beizubehalten und zu institutionalisieren, weist er darauf hin, dass "einzelne Städte" auf soziale Unterschiede beim Ansteckungsrisiko und Impfen aufmerksam gemacht und mit Aktionen wie Impfbussen Abhilfe geschaffen hätten. Wie das in Mannheim ablief, erfährt man nicht.
Generell bleibt Kurz an vielen Stellen unkonkret, teilweise greift er auf Allgemeinplätze zurück. Auch Belege führt der Autor so gut wie keine an. Bei einigen Tatsachenbehauptungen fragt man sich daher, ob sie überhaupt auf theoretischen, empirischen oder demoskopischen Grundlagen fußen - oder lediglich auf einem Eindruck oder Gefühl des Autors oder auf anekdotischer Evidenz.
"Gute Politik" ist keine Endlosliste der politischen Erfolge eines Oberbürgermeisters, keine Lobeshymne, keine Selbstbeweihräucherung. Das Buch bietet vielmehr Einblicke in den Erfahrungsschatz eines langjährigen Kommunalpolitikers. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Lektüre angenehm und kurzweilig. Leider macht Kurz seine Ideen kaum an konkreten Beispielen fest, um seine Tätigkeit und die Stadt, in der er wirkte, geht es fast überhaupt nicht. Dabei könnte er aus der Praxis sicherlich viel berichten: Kurz war Präsident des baden-württembergischen Städtetags, er engagierte sich im Rat der Gemeinden und Regionen Europas und in der weltweiten Vereinigung United Cities and Local Governments. Von all dem erfährt man in dem Buch allerdings nichts. Kurz war auch im Präsidium des Deutschen Städtetags und Mitgründer des Global Parliament of Mayors, 2021 gewann er den World Mayor International Award. Das zumindest wird im Buch erwähnt - allerdings nur in der Autorenbeschreibung. JONAS WAGNER Peter Kurz: Gute Politik. Was wir dafür brauchen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2024. 112 S.
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