Feldherr, Aristokrat, Wohltäter: Eine fesselnde Geschichte voller Intrigen und Genüsse
Sein Ruf als Gourmet ist bis heute sprichwörtlich, sein Rang als Politiker hingegen völlig vergessen: Lucullus gehört zu den letzten Verteidigern einer freien römischen Republik. Peter Scholz zeichnet ein lebendiges Bild des hochkultivierten Aristokraten und vorbildlichen Heerführers. Zugleich gelingt ihm eine fesselnde Neubetrachtung der letzten Phase der Republik und ihrer prachtvollen Lebenswelt, die zeigt: Das Ende der Freiheit war nicht unausweichlich!
Lucius Licinius Lucullus (118-56 v. Chr.) war ein gefeierter Feldherr, ein geschätzter Wohltäter und ein hochgebildeter Aristokrat. In der letzten Phase der römischen Republik zählte er zu den fähigsten Angehörigen der politischen Führungsschicht. Vor dem Hintergrund einer untergehenden politischen Ordnung schildert Peter Scholz, wie Lucullus das Kriegshandwerk erlernte, sich zum Imperator des griechischen Ostens aufschwang und umjubelte Siege für Rom errang. Zugleich pflegte er den Austausch mit Philosophen und Literaten und zeigte sich für jede Art von »lukullischen« Genüssen aufgeschlossen. Mit aller Kraft stemmte sich Lucullus gegen die rücksichtslose Ausbeutung der Provinzialbevölkerung durch die Finanzelite und gegen die Ausbootung im römischen Senat. Sein Freiheitswille ließ ihn zu einem der Protagonisten des Widerstands gegen die autokratischen Bestrebungen eines Pompeius und Caesar werden. Der Autor entlarvt die Erzählung von der vermeintlichen Wandlung des erfolgreichen Feldherrn zum Schlemmer als publizistische Propaganda seiner Gegner, die bis heute unser Bild von Lucullus und der Senatsaristokratie prägt.
Besprechung vom 10.01.2025
Was ist schon der Schlachtenlärm gegen den Geschmack der Kirsche
Auf die Nachwelt ist er als Genießer und Schlemmer gekommen, dem sich sogar ein einschlägiges Adjektiv verdankt. Doch aus dem Blick gerät dabei der Senator und Feldherr der späten römischen Republik: Peter Scholz legt eine Biographie des Lucius Licinius Lucullus vor.
Ein Narrativ ist mehr als eine Geschichte. Es ist eine Art, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie in ein vorgegebenes Raster passt. Dabei fallen oft gerade diejenigen Einzelheiten weg, die das Erzählte interessant machen: Zweideutigkeiten, Widersprüche, unvorhergesehene Wendungen. Die Kanten des Geschehens werden abgeschliffen, damit es sich leichter in das Puzzle fügt, das es vervollständigt.
Einem solchen Narrativ ist auch die Geschichte des Lucius Licinius Lucullus zum Opfer gefallen, der von 117 bis 56 vor Christus gelebt hat und gut vier Jahrzehnte lang zu den wichtigsten Vertretern der Senatsaristokratie in der Spätphase der römischen Republik gehörte. Das meint jedenfalls sein Biograph, der Stuttgarter Althistoriker Peter Scholz, dessen Lucullus-Buch mit seiner Gegenüberstellung von Herrschen und Genießen im Untertitel auch gleich das Rezeptionsproblem benennt, um das es kreist. Denn von einem Herrscher oder Mitherrscher, gar einem erfolgreichen Strategen und Kriegshelden Lucullus ist außerhalb akademischer Kreise hierzulande nichts bekannt, dafür umso mehr von dem Genießer und Schlemmer, dessen Sinn für erlesene Gaumenfreuden so legendär war, dass er sprichwörtlich wurde. Wer heute "lukullisch" sagt, weiß genau, was gemeint ist, auch wenn er über den Namengeber des Ausdrucks sonst nichts Genaues weiß.
Diesem Missstand will Peter Scholz abhelfen. Seine Biographie, die mit gut dreihundert Textseiten nicht überdimensioniert, aber auch nicht allzu verknappt wirkt, ordnet den Spross einer Seitenlinie des altrömischen Geschlechts der Licinier in seine Zeit ein und hebt ihn zugleich aus ihr heraus. Lucius Licinius Lucullus, Sohn eines Prätors und Enkel eines Konsuls, hatte das Glück, in einer Epoche geboren zu werden, in der Rom von einem regionalen zu einem kontinentalen Imperium heranwuchs, und das Pech, an ihrem Ende zu den historischen Verlierern zu zählen. In seine Kindheit fielen die Siege des Marius über die Kimbern und Teutonen; als er starb, war Caesar gerade dabei, ganz Gallien unter römische Herrschaft zu bringen. In dem halben Jahrhundert dazwischen aber hatte Lucullus seinen weltgeschichtlichen Auftritt, den Peter Scholz mit penibler Gründlichkeit nachzeichnet.
Die traditionelle Ämterkarriere römischer Aristokraten, der Cursus honorum, führte von der Quästur in drei Stufen zum Konsulat und vermischte dabei zivile und militärische Aufgaben. Als Lucullus 89 vor Christus Quästor wurde, tobte gerade ein Krieg, den Roms italienische Bundesgenossen gegen die Metropole entfesselt hatten, die ihnen das Bürgerrecht verweigerte. Zugleich schlug Mithridates, der Herrscher eines Kleinkönigtums am Schwarzen Meer, in Kleinasien gegen die Römer los. Im Folgejahr wurde Lucius Cornelius Sulla, dem Lucullus im Bundesgenossenkrieg als Militärtribun gedient hatte, zum Konsul gewählt und übernahm den Oberbefehl im Kampf gegen Mithridates. Bevor Sulla aber im Osten losschlug, marschierte er mit seinem Heer nach Rom, um die Stadt, in der die Anhänger seines Widersachers Marius die Macht übernommen hatten, unter seine Kontrolle zu bringen, und Lucullus begleitete ihn dabei.
In den folgenden zehn Jahren, die vom innerrömischen Konflikt zwischen den Verfechtern der traditionellen Machtverteilung zwischen Senat und Volk, den Optimaten, und den volksfreundlichen Popularen ebenso geprägt waren wie vom Krieg in Kleinasien, blieb Lucullus' Schicksal an das von Sulla gebunden. In Griechenland warb er für den Feldherrn um Verbündete, in Ägypten und Rhodos stellte er für ihn eine Flotte zusammen, und nach dem Sieg über Mithridates sammelte er für Sulla die Tribute der unterlegenen Griechenstädte ein. Zurück in Rom, setzte er unter der Diktatur Sullas seine Karriere als Ädil, Prätor und Statthalter der Provinz Africa fort. 74 vor Christus, vier Jahre nach dem Tod seines Gönners, wurde Lucullus Konsul. Kurz darauf begann ein neuer Krieg gegen Mithridates, und Lucullus übernahm den Oberbefehl über das römische Heer.
Der dritte Mithridatische Krieg wurde zum Wendepunkt in der politischen Laufbahn des Lucullus. Nach glanzvollen Siegen und ausgedehnten Feldzügen durch die Reiche des Mithridates und seines Alliierten Tigranes von Armenien endete das kleinasiatische Kommando mit Lucullus' Abberufung durch den Senat. An seine Stelle trat Pompeius, ein weiterer Günstling Sullas, der sich inzwischen auf die Seite der Popularen geschlagen hatte. Deren Abgesandter Publius Clodius Pulcher, ein Schwager des Lucullus, hatte zuvor einen Teil des römischen Heeres gegen den Anführer aufgewiegelt. Die Meuterei zwang Lucullus, seine Truppen an die Ägäisküste zurückzuziehen. In Rom wiederum verweigerten ihm die Parteigänger des Pompeius den Triumphzug, den er nach seinen Erfolgen gegen Mithridates und Tigranes verdient hatte. Drei Jahre lang musste sich Lucullus außerhalb des Stadtgebiets aufhalten, ehe er seine Kriegsbeute vor dem römischen Volk ausbreiten durfte. In dieser Zeit erwarb und erbaute er die fünf Anwesen, die seinen Ruf als Lebenskünstler begründeten: drei Villen in und um Neapel, eine in Tusculum - vor allem aber die berühmten "Gärten des Lucullus" auf dem Pincius-Hügel oberhalb Roms.
Worin besteht nun das Narrativ über den Senator, Feldherrn und Villenbesitzer, das Peter Scholz widerlegen möchte? Im Wesentlichen besagt es, dass sich Lucullus wie so viele seinesgleichen nach erlangtem Reichtum von den Staatsgeschäften zurückgezogen habe, um den Rest seiner Tage in Wohlleben zu verbringen. Diese Lesart, die im frühkaiserzeitlichen Rom bei dem Historiker Sallust entstand (der selbst ein großer Garten- und Villenliebhaber war), fand ihre endgültige Ausprägung bei Plutarch, der in seinen um 100 nach Christus entstandenen Parallelbiographien die Vita des Lucullus mit der des Kimon von Athen vergleicht. Während Kimon bis zuletzt für seine Heimatstadt kämpfte - er starb im Feldlager -, glich Lucullus' Leben laut Plutarch "einer alten Komödie", in der "zunächst politische und militärische Begebenheiten vorkommen, im Anschluss daran aber Trinkgelage und Schmausereien, Gelage, Fackelfeste und alle Arten von Spielereien".
Bei dieser Deutung blieb es auch in nachantiker Zeit, bis hin zu Theodor Mommsen, der in seiner "Römischen Geschichte" über jene Politiker "wie Metellus und Lucius Lucullus" höhnt, die nicht weniger auf die Ausdehnung des Imperiums erpicht gewesen seien als "auf die der endlosen Wildbret-, Geflügel- und Dessertliste der römischen Gastronomie durch neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen". Dem hält der Biograph Scholz jene Textstellen bei Cicero und Cassius Dio entgegen, die von politischen Aktivitäten des Lucullus auch in seinen späten Jahren berichten - zumal dann, wenn er Gelegenheit bekam, im Senat die Machenschaften und Pläne seines ewigen Widersachers Pompeius zu durchkreuzen.
Allerdings kann auch Scholz nicht die schlichte historische Wahrheit zum Verschwinden bringen, die in dem Faktum liegt, dass Lucullus nach seinem verspäteten Triumphzug eben nicht zum Anführer der senatorischen Opposition gegen die neuen starken Männer der Popularen wurde - Caesar, Pompeius, Clodius Pulcher -, sondern diese Rolle Männern wie Cato dem Jüngeren und eben Cicero überließ, der ihm in seinem Dialog "Lucullus" ein liebevolles, von Herablassung nicht völlig freies Andenken widmete. Stattdessen begründete er ein Influencertum ganz neuer Art. Denn seine Gastmähler, Fischzuchten, Luxusgärten, Wohnpaläste und kulinarischen Importe - er pflanzte die ersten Kirschbäume in Italien - trugen auf eine Weise Früchte, die man durchaus historisch nennen kann. Binnen weniger Jahre richtete die gesamte römische Oberschicht ihren Wohnstil am Vorbild des Lucullus aus, und später wurde die Kombination aus Luxus und Landleben auch für Angehörige der Kaiserhäuser de rigueur.
Tiberius starb in der Lucullus-Villa in Misenum bei Neapel, und der letzte weströmische Kaiser Romulus Augustus endete als Gefangener im Castellum Lucullanum auf jenem Felsen vor Neapel, auf dem heute das Castel dell' Ovo steht. Ein Jahrtausend später nahmen die Kardinäle und Condottieri der Renaissance den abgerissenen Faden des stilvollen Nichtstuns wieder auf. Als Staatsmann war Lucullus zweite Wahl, als Privatier hat er eine aristokratische Lebensform geprägt, die den Wandel der Zeiten überdauert.
Es wirkt deshalb etwas kleinmütig, wenn Peter Scholz am Ende seines Buches feststellt, die historische Überlieferung zu Lucullus sei zu spärlich, um Aussagen über sein "inneres Gepräge" und die Beweggründe seines Handelns zuzulassen. Denn allzu viel Psychologie ist gar nicht nötig, um einen Mann zu verstehen, der begreift, was die Stunde geschlagen hat. Zehn Jahre nach Lucullus' Tod ist Caesar Diktator in Rom, weitere fünfzehn Jahre später wird Octavian bei Actium zu Augustus. Auch eine Legion von Bruti und Cassii hätte die Transformation der Republik zum Imperium nicht verhindert. Aber die kleinasiatischen Delikatessen, die Kirschen und Aprikosen, die ein Lucullus nach Europa brachte, schmecken den Erben des Römerreiches noch immer. ANDREAS KILB
Peter Scholz: "Lucullus". Herrschen und Genießen in der späten römischen Republik.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024. 416 S., Abb., geb.
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