Besprechung vom 02.03.2020
Die Speicherstadt
Ein Stück Hamburger Wirtschaftsgeschichte
Früher füllten Kolonialwaren wie Kaffee, Kakao, Tee, Tabak, Gewürze und Kautschuk die pittoresken Lagerhäuser der Hamburger Speicherstadt. Das ist lange vorbei, doch das Hafenviertel erzählt noch immer beste Hamburger Wirtschaftsgeschichte. Ein üppiger Band des Architekturhistorikers Ralf Lange mit 440 brillanten Abbildungen berichtet jetzt erstmals über Planung und Bau dieses weltweit größten Lagerhauskomplexes, seine Rekonstruktion nach dem Zweiten Weltkrieg und die Revitalisierung.
Anlass für den Bau der seit 2015 zum Unesco-Welterbe zählenden Speicherstadt auf zwei Elbinseln war 1881 das Zollanschluss-Abkommen mit dem Deutschen Reich. Darin wurde der Hansestadt ein Großteil ihres Hafens als Freihafen zugestanden, wo Importgüter weiterhin zollfrei gelagert, veredelt und verarbeitet werden durften. Mehr als 16 000 Menschen mussten umgesiedelt und insgesamt 1000 Häuser abgerissen werden für das innovative Hafenlogistikzentrum mit Kränen, Aufzügen und Seilwinden und der Anbindung an Eisenbahn, Straßen, Fleete und das eigene Elektrizitätswerk. Die auf Tausenden von Eichenpfählen errichteten neugotischen Rotklinkergebäude mit Giebeln, Erkern und Türmchen gelten als Musterbeispiel norddeutscher Backsteinkultur. Im Zweiten Weltkrieg zur Hälfte zerstört und bis 1967 originalgetreu wieder aufgebaut, wurde die Speicherstadt bis in die 1990er Jahre zur Lagerung genutzt.
Am Ende allerdings hatten nur mehr Teppichhändler rentable Verwendung für die leeren Böden und den altertümlichen Handbetrieb mit Seilwinden und Handkarre. Container und automatisierte Lagerverwaltungssysteme machten den Freihafenstatus zum Anachronismus. 2004 wurde die Speicherstadt zollrechtlich zum Inland. Der Neubau der Hafen-City bescherte den alten Speichergebäuden einen überraschenden Boom: Die gründerzeitliche Architektur, die sich zur Touristenattraktion gemausert hat, beherbergt heute hinter alten Fassaden Agenturen, Verlage, Theater, eine Musical-Akademie und schicke Szenelokale. An das alte Leben erinnern das Deutsche Zollmuseum, das Maritime Museum, das Gewürzmuseum und als Herz des Ganzen das Speicherstadtmuseum. Dort zeigen Fotos und Werkzeuge, wie seinerzeit in den Speichern gearbeitet wurde, und Kaffee-, Tee- und Kakao-Verkostungen erinnern daran, wie die Speicherstadt einst duftete.
ULLA FÖLSING
Ralf Lange: Die Hamburger Speicherstadt. Geschichte, Architektur, Welterbe. Dölling und Galitz Verlag, München, Hamburg 2019, 384 Seiten
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