1976 ist David Bowie auf dem Höhepunkt . . . seiner Drogensucht. Von Paranoia und
Starrummel zerrüttet, flieht er aus dem grellen Los Angeles nach (West-) Berlin.
In der Stadt, in der jeder Gang irgendwann an einer Mauer endet, sollte er sich
frei fühlen wie nie.
Mit viel Zeitkolorit schildert Reinhard Kleist, wie Bowie sich in Berlin kopfüber
ins Gestern, ins Heute und ins Morgen stürzt: Mit Romy Haag erkundet er die
Dekadenz der wilden Zwanziger, mit Iggy Pop taucht er ein in die Musik von Kraftwerk und Tangerine Dream.
Und in den Hansa Studios im Schatten der Berliner Mauer erwächst dem Geist
der Vergangenheit seine visionärste Musik. In Berlin werden Ziggy Stardust,
Halloween Jack, der Thin White Duke zu David Bowie . . .
Besprechung vom 09.01.2025
Berliner Luft tut gut
Es gibt Musiker, die von allen Generationen geliebt werden, die den nostalgischen Siebzigjährigen genauso begeistern wie den Teenager. David Bowie ist das Paradebeispiel für diesen Künstlertypus. Auf seine Hits wie "Heroes", "Rebel Rebel" oder "Space Oddity" können sich die allermeisten - ob jugendlicher Hipster oder im Großelternalter - problemlos einigen. Und deshalb ist auch Reinhard Kleists Comic-Biographie über den Musiker, der sich in seiner Karriere gleich mehrfach völlig neu erfand, zur generationenübergreifenden Lektüre bestens geeignet.
Gerade ist der zweite - und leider auch schon letzte - Teil von Kleists Bowie-Comic erschienen. In "Starman", dem ersten Band der Biographie, hatte er davon erzählt, wie der Musiker sich in die schillernde Figur Ziggy Stardust verwandelt hatte und zum Superstar des Glamrocks wurde. Im zweiten Band mit dem Titel "Low" schildert er nun, wie es Bowie gelang, dieses Image wieder abzuwerfen und seine heftige Drogensucht zu überwinden: durch einen Umzug nach Westberlin. Ausgerechnet in der Stadt der Aussteiger und Freaks, in der Metropole der Subkulturen und von Christiane F. suchte der Popstar damals nach Läuterung.
Von 1976 bis 1978 lebte Bowie in der "Mauerstadt". Der Musiker war fasziniert von ihrem rauen Charakter, er liebte die expressionistischen Gemälde der "Brücke"-Künstler, er schwärmte von Bertolt Brecht und Marlene Dietrich, er verliebte sich in die transsexuelle Künstlerin Romy Haag und das Cabaret, das sie betrieb. In Berlin lernte Bowie aber auch die Musik der deutschen "Krautrocker" und von Kraftwerk kennen, die ihn stark prägte.
Mit seinen Produzenten Tony Visconti und Brian Eno mietete er sich im berühmten Hansa-Studio ein, auf der Suche nach einem neuen Sound, der "visionär" sein sollte. Mit seiner dort aufgenommenen Berlin-Hymne "Heroes" sollte Bowie Popgeschichte schreiben.
Von alldem erzählt Kleist in "Low" in einer heftigen Farbigkeit und beeindruckenden Lebendigkeit. Die Geschichte springt zeitlich vor und zurück, die Dialoge sind meist knapp und direkt, dann wieder gibt es detailreiche, ins Phantastische gleitende Szenen, die ganz ohne Worte und Sprechblasen auskommen. Kleist erzählt die Geschichte von Bowies Berliner Jahren nicht einfach nur nach, sondern nimmt sich den Freiraum zur Interpretation, zur eigenen Sicht auf den Popstar. Das macht seine Comic-Biographie zu etwas Besonderem.
Wer mehr darüber erfahren will, wie er an seinen Bowie-Comics gearbeitet hat, sollte unbedingt die Veranstaltung mit dem Berliner Zeichner besuchen, die am Donnerstag, 16. Januar, von 19.30 Uhr an in der Frankfurter Romanfabrik (Hanauer Landstraße 186) stattfindet. Matthias Wieland wird dann aus "Low" lesen, Jakob Hoffmann moderiert das Gespräch mit Kleist.
Eine "Zugabe" gibt es außerdem: Gregor Praml, der Leiter der Romanfabrik, und die Sängerin Jule Heidmann spielen Songs aus Bowies "Berliner Jahren", Comic-Künstler Kleist wird dazu live zeichnen. Karten (sechs bis 14 Euro) gibt es über www.romanfabrik.de. Alexander Jürgs
Reinhard Kleist: Low,
Carlsen Verlag 2024, 176 Seiten, 25 Euro, ISBN 9783551-793638.
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