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Rote Kreuze

Roman

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Alexander ist ein junger Mann, dessen Leben brutal entzweigerissen wurde. Tatjana Alexejewna ist über neunzig und immer vergesslicher. Die alte Dame erzählt ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte, die das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken umspannt. Nach und nach erkennen die beiden ineinander das eigene gebrochene Herz wieder und schließen eine unerwartete Freundschaft, einen Pakt gegen das Vergessen.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
26. Februar 2020
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
288
Autor/Autorin
Sasha Filipenko
Übersetzung
Ruth Altenhofer
Verlag/Hersteller
Originaltitel
Originalsprache
russisch
Produktart
gebunden
Gewicht
315 g
Größe (L/B/H)
188/121/27 mm
ISBN
9783257071245

Portrait

Sasha Filipenko

Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satireshow und als Fernsehmoderator. Sein Roman Die Jagd war ein Spiegel -Bestseller. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er musste mit seiner Familie Russland verlassen und lebt in der Schweiz.

Pressestimmen

Besprechung vom 20.02.2020

Gnadenlose Geschichte
Sasha Filipenkos Roman "Rote Kreuze"

Minsk zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Zwei Menschen begegnen sich auf dem Hausflur eines Mietshauses: der dreißigjährige Alexander, der gerade neu einzieht, und seine Nachbarin Tatjana, über neunzig Jahre alt und von den Anfängen der Alzheimer-Krankheit erfasst. Der junge Mann wehrt sich zunächst gegen die Aufdringlichkeit seiner Mitmieterin, aber dann wird er doch in die persönliche und politische Geschichte der Sowjetunion im 20. Jahrhundert hineingezogen.

"Man darf kein neues Leben anfangen und dabei das alte vergessen" heißt es programmatisch im Roman. Der weißrussische Autor Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, schreibt auf Russisch und lebt heute mit seiner Familie in Sankt Petersburg. Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch zollt ihm gewichtiges Lob: "Wenn Sie wissen wollen, was das moderne, junge Russland denkt, lesen Sie Filipenko." Vier Romane des Autors sind bisher erschienen, nun ist der erste aus dem Jahr 2017 von Ruth Altenhofer in eindringlicher und klarer Sprache ins Deutsche übertragen worden.

Die alte Dame Tatjana erzählt dem jungen Alexander ihre Lebensgeschichte, die sich wie eine Blaupause auf die Geschichte der Verfolgten im sowjetischen Russland liest. Woran die Menschenrechtsorganisation ,Memorial' seit über dreißig Jahren arbeitet, die Unterdrückungsgeschichte des Landes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und eine Erinnerungskultur zu pflegen, das ist auch das Thema dieses ungewöhnlichen Dialogs oder besser gesagt Monologs einer Gezeichneten, die den Jungen erzählen will, welche Stempel das Leben ihrer Generation aufgedrückt hat. Ausgangspunkt ist eine Geschichte, auf die der Autor durch Zufall durch einen Archivar aufmerksam gemacht wurde: Briefe des Genfer Roten Kreuzes während des Zweiten Weltkriegs an die Sowjetunion, in denen das Menschenrechtskomitee versucht, Gefangenenlisten mit Moskau auszutauschen, um die Schicksale der Kriegsgefangenen zu erleichtern. Moskau antwortet nicht, verweigert jede Auskunft. Außenminister Molotow ist zu keinerlei Kompromiss oder Erleichterung der Häftlingsbedingungen bereit.

Diese Dokumente findet der Autor nicht in Moskau, wo solche Papiere seit Wladimir Putin längst wieder unter Verschluss sind, sondern in Genf, wo das damalige Rote Kreuz von jeder Korrespondenz eine Art Protokoll der Moskauer Reaktionen auf jedes nach Moskau geschickte Dokument angelegt hat. Dieses Material war der Ausgangspunkt für Filipenkos Roman über den Umgang mit der Vergangenheit und das Nachdenken, warum so viele Schicksale zerstört worden sind.

Die Romanfigur Tatjana wird während des Krieges Sekretärin beim Außenministerium und bearbeitet in dieser Funktion die Genfer Gefangenenlisten. Auf einer dieser Listen aus Rumänien steht auch der Name ihres Mannes. Da in der Sowjetunion alle russischen Kriegsgefangenen als Verräter gelten, löscht sie den Namen ihres Gatten und wiederholt den Namen des Gefangenen, der davor auf der Liste steht. Tatjana weiß wohl, welche Konsequenzen diese Fälschung zur Folge haben wird; sie wartet darauf, dass sie festgenommen wird, es passiert nichts. Erst nach Ende des Kriegs wird sie inhaftiert und muss zehn Jahre im Lager einsitzen. Das Denken an ihre Tochter, der sie entrissen wurde, als diese neun Jahre alt war, hält sie am Leben. Als Tatjana schließlich entlassen wird und sich auf die Suche nach ihrer Tochter macht, erfährt sie, dass bereits 1946, ein Jahr nach ihrer Inhaftierung, die Tochter im Lager verhungert ist.

Die Geschichte kennt keine Gnade. Bei ihren Recherchen erfährt sie auch, warum und wie ihr Mann als gefangener Soldat von den Sowjets ums Leben gebracht wurde. Auf der Suche nach ihm kommt Tatjana zweimal durch eine Kleinstadt in der Nähe von Perm, auf dem Marktplatz steht eine ramponierte Stalinstatue mit einem proportional viel zu kleinen Kopf - eine bittere Satire auf den großen Diktator. Ein Einheimischer erklärt, sie hätten keinen anderen Ersatzkopf bekommen, also mussten sie mit der Miniatur vorlieb nehmen. Beim nächsten Mal trägt die Statue einen viel zu großen Kopf, jetzt ist Stalin aufgeblasen wie eh und je.

Geschickt verknüpft der Autor die fiktive Geschichte mit den Originaldokumenten und transponiert das Geschehen in die Gegenwart. Zwei Menschen kommen sich über die Vergangenheit näher; sie werden immer vertrauter miteinander. Die Schicksale so vieler Hingerichteter und in den Tod Getriebener verknüpft das Leben der unterschiedlichen Generationen.

Das rote Kreuz symbolisiert Tatjanas Geschichte mehrfach. Zuerst taucht es auf, ins Holz des nachbarlichen Türrahmens gekratzt. Die alte Dame erklärt, das habe sie angebracht, damit sie nicht vergesse, wo sie wohne. Dann taucht in ihrem Lebensbericht das Genfer Rote Kreuz auf, das sie auf die Fährte ihres verschollenen Mannes bringt. Wie ein Menetekel steht mitten auf einem Feld im Niemandsland ein Kreuz, windschief aus verrosteten Rohren gebastelt, der Wind pfeift durch das Gestänge: "Das Kreuz sang von Vergangenheit und Zukunft, von Tod und Verzweiflung, von Erinnerung und Versöhnung." Eine Wegmarke durch die wilden Pfade einer Existenz in der Diktatur. Ein Jahr nach Tatjanas Tod lässt Alexander einen roten Granitstein fertigen und bittet den Bildhauer um folgende Inschrift: "Geht mir bitte nicht auf den Geist" - das waren Tatjanas letzte Worte vor ihrem Tod, ein lakonischer, bitter-ironischer Abschied. Sie wollte kein Mitleid.

LERKE VON SAALFELD

Sasha Filipenko: "Rote Kreuze". Roman.

Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer. Diogenes Verlag, Zürich 2020. 288 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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LovelyBooks-BewertungVon petraellen am 23.03.2024
Erinnern und Vergessen AutorSasha Filipenko InhaltDer junge Alexander ist gerade nach Minsk gezogen. Vor kurzem hat er seine Frau verloren und muss sein Leben mit seiner kleinen Tochter neu ordnen. Auf dem Stockwerk seiner Wohnung lebt noch eine neunzig Jahre alte Frau, alleinstehend und an Alzheimer erkrankt. Nach einer kleinen Stadterkundung kommt er zu seiner Wohnung zurück und stellt mit Erstaunen fest, dass jemand ein rotes Kreuz auf seine Wohnungstür gemalt hat. Es stellt sich heraus, dass seine Nachbarin Tatjana Alexejewna es war. Alexander hält es zunächst für einen Scherz, doch Tatjana Alexejewna erklärt ihm, dass sie das Rote Kreuz braucht, um den Weg nach Hause zu finden. Sie erklärt Alexander, dass bei ihr kürzlich Alzheimer diagnostiziert wurde. Sie weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Krankheit ihr Gedächtnis zerstört und ihre Erinnerungen ausgelöscht hat. Tatjana bittet Alexander in ihre Wohnung und will ihm ihre Geschichte erzählen. Eigentlich möchte er nicht auf einen Plausch zu ihr kommen, doch dann fesselt ihn die Lebensgeschichte.  ""... Ich würde Ihnen gern eine unglaubliche Geschichte erzählen. Eigentlich keine Geschichte, sondern eine Biographie der Angst. Ich möchte Ihnen erzählen, wie das Grauen den Menschen unvermittelt packt und sein ganzes Leben verändert.""  (S. 15) Sie erzählt von ihrer Vergangenheit, an die sie sich noch gut erinnern kann. Sie erzählt von dem Zweiten Weltkrieg, ihrer Arbeit im Außenministerium. Ihr Mann Ljoscha wurde vermisst und ihre Tochter Assja entriss man ihr, als sie wegen Volksverrat ins Lager kam.Sie erzählt ein schockierendes Kapitel der russischen Geschichte, wie die Sowjetunion die russischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg im Stich ließ, wie ihre Familien als Verräter verfolgt wurden. Sprache und StilTatjana Alexejewna wird in London geboren. Anfang 1920 zieht sie mit ihrer Familie nach Moskau. Ihr Vater Alexej Alexejewitsch Bely sieht in dem Regierungswechsel "eine Revolution des Geistes! Petersburg und Moskau sind jetzt Städte des kleinen Mannes!" (S. 23) Tatjana begeistert sich für den Kommunismus. Sie dient ihrem Land und wird doch verhaftet.Sie arbeitet als Fremdsprachensekretärin im Außenministerium, als sie einen Brief bekommt, den sie übersetzen soll. Es ist eine Liste mit Namen russischer Kriegsgefangener in Rumänien, auf der sie den Namen ihres Mannes entdeckt. Sie weiß, dass Kriegsgefangene und ihre Familien als Verräter verfolgt und in den Gulag geschickt werden. Sie nimmt den Namen aus der Liste und setzt einen anderen Namen, der bereits schon auf der Liste steht, dazu.Die gefährliche Einmischung zum Schutz ihres Mannes hat nicht die Wirkung, die sie sich vorstellt. Sie wird als Verräterin bestraft und verbringt fast zehn Jahre voller psychischer und körperlicher Misshandlungen in einem weit entfernten, entsetzlichen Lager, ohne zu wissen, was mit ihrem Mann und Kind geieht. Erst nach der Haftentlassung erfährt sie, dass beide nicht mehr leben. Zudem plagt sie das schlechte Gewissen, einen Betrug vorgenommen zu haben, von dem sie sich eine Rettung erhoffte.  Sie ist am Ende ihres Lebens angekommen. Sechzig Jahre später erzählt sie ihre Lebensgeschichte ihrem jungen Nachbarn. Ihre Geschichte beginnt in Moskau 1941, als Russland schon im Krieg gegen das Nazideutschland steht. Sie erzählt von dem Wahnsinn der wütenden, stalinistischen Säuberungen. Trotz alledem hat sie ihren Kampfgeist bewahrt und kämpft dafür, dass nichts vergessen wird.  Das Band zwischen Tatjana und AlexanderTatjana hat Mann und Tochter verloren.Alexander musste eine schwierige Entscheidung treffen. Er konnte wenigstens seine Tochter retten. Beide sind verlassenen und beide werden mit dem Vergessen, Erinnern konfrontiert. Alexander hat kein Alzheimer und muss trotzdem gegen das Vergessen kämpfen.Die Metapher "Alzheimer" ist im Roman "Rote Kreuze" allgegenwärtig. Die Alzheimer-Krankheit als Schlüsselrolle Tatjana hat Alzheimerkrankheit. Alzheimer beginnt mit leichten Gedächtnisstörungen und dem Betroffenen fällt es zunehmend schwer, sich in fremder Umgebung zu orientieren.Es folgen deutliche Ausfälle bis zum Kontrollverlust. Das weiß Tatjana und kokettiert damit. "Ihr fällt der Vatername nicht mehr ein" (S. 12).Der Autor setzt die Alzheimerkrankheit als Metapher ein. Als Mahnung der Erinnerung und gegen das Vergessen. Es ist ein Aufschrei gegen das Vergessen. Hier insbesondere gegen das kollektive gesellschaftliche Vergessen, der Repressionen in den sowjetischen Republiken.Die "Roten Kreuze" stehen ebenfalls für "Alzheimer." Sie zeigen den Weg, dieses Vergessen zu verhindern. Die zahlreichen Dokumente geben Aufschluss darüber, was geschehen ist. Menschen, die davon betroffen waren, bekommen Namen, sie werden namentlich genannt. Die Schicksale werden sichtbar.Denn nicht nur die Alzheimerkrankheit lässt vergessen, sondern auch eine Generation, die dies miterlebt hat, wird eines Tages nicht mehr da sein und darüber reden können. Und daher ist es wichtig, dass nichts in Vergessenheit gerät.  "Aber jetzt, wo in meinem Leben alles vorbei ist...jetzt denkt sich Gott, dieser von mir erdachte Gott, für mich Alzheimer aus, weil er Angst hat! Er hat Angst, mir in die Augen zu schauen! Er will, dass ich alles vergesse." (S. 197) Historische Fakten, die überprüfbar sind  Sasha Flilipenko verwendet in seinem Roman "Rote Kreuze" Dokumente, die er in Genf recherchiert hat, denn in Moskau werden diese Dokumente unter Verschluss gehalten. Das alleine ist schon sehr wertvoll, die Dokumente zu lesen. Sie bilden letztendlich auch die historische Grundlage für seinen Roman. Oftmals kann man aus den Dokumenten entnehmen, dass auf Briefe oder Telegramme keine Antwort kam "unbeantwortet geblieben".Jedes Dokument und jedes Telegramm stellt einen "Stolperstein" dar. Die Aussagen sind gewaltig. Wie wenig war man an Menschen interessiert, diese zurückzuholen. "Wir sind immer davon ausgegangen, dass sich in jeder Regierung und in jeder Organisation ein Mensch finden lässt, der sich zurückmeldet. Neun werden nicht antworten, aber der Zehnte wird das lesen und was unternehmen." (S. 266) Jedes Dokument hat eine eigene Aussagekraft, ein anderes Schicksal. Es geht um Reden des Volkskommissars, Erklärungen des deutschen Botschafters von Schulenburg, Amnestie-Erlass aus der Prada, Einlieferungsschein in die Krankenstation des Gulag, vieles mehr. Eindrucksvoller kann man diese Zeit 1941/42 in diesem Zusammenhang nicht wiedergeben. ErzählstrategieSasha Filipenko baut seinen Roman auf zwei Erzählsträngen auf. Einmal erzählt Tatjana und dann wieder Alexander. Bei beiden wechselt er zwischendurch die Perspektive mit dem Effekt, dass der Leser direkt das Geschehen verfolgen kann. Diese Strategie erzeugt einen Sog in das Geschehen, dem man sich nicht entziehen kann. Der Text wird zudem durch Gedichte und Liedtexte aufgelockert. Fazit Sasha Filipenko ist ein außerordentlicher Roman gegen das Vergessen der geschichtlichen Verbrechen gelungen. Tatjanas Schicksal wird in einem erschütternden, mitreißenden Lebensverlauf erzählt.Dieser Lebenslauf steht stellvertretend für Millionen anderer Menschen, ist aber nicht fiktiv, sondern real. Genau das macht diesen Roman aus.
LovelyBooks-BewertungVon HannahLovesFencheltee am 15.03.2024
hat nicht den gleichen Wumms wie die anderen Bücher von Filipenko, aber immer noch sehr gut und einwandfrei