Tove Ditlevsens letzter Roman - ihr literarisches Vermächtnis - gilt neben der »Kopenhagen-Trilogie« als ihr literarisches Meisterwerk
»Die vielleicht spektakulärste Wiederentdeckung der letzten Jahre. « DER SPIEGEL
»Vilhelms Zimmer« ist Tove Ditlevsens literarisches Vermächtnis, der letzte Roman, den sie 1975 veröffentlichte. Er gilt neben der »Kopenhagen-Trilogie« als ihr Meisterwerk, wird als ihr kunstvollster und modernster Roman bezeichnet. Darin tauchen alle Themen auf, für die Ditlevsen steht: Sie erzählt die Geschichte einer Beziehung, die an Wildheit und Intensität kaum zu übertreffen ist, und vom hinreißenden Lebenswerk einer Frau und Künstlerin.
»Große dänische Literatur: eine Frau mit Beziehungsproblemen und wunderbar sarkastischem Humor. « Adam Soboczynski, DIE ZEIT
Besprechung vom 13.02.2025
Treue aus Angst
Tove Ditlevsens Roman "Vilhelms Zimmer"
Ingmar Bergmans Film "Szenen einer Ehe" von 1973 wird vielen noch in Erinnerung sein. Dass jede Paarbeziehung Abgründe und Konfliktpotential sondergleichen bereithält, ist als gesichertes und immer wieder neu zu eroberndes Wissen in verschiedenen Medien ständig präsent. Doch kann man sich dem Thema auch mit Literatur anvertrauen.
Der jetzt auf Deutsch vorliegende letzte Roman der dänischen (Kult-)Schriftstellerin Tove Ditlevsen, geboren 1917 und 1975 durch Suizid aus dem Leben geschieden, ist eine groß angelegte Prosa-Analyse der mit der Paarproblematik zusammenhängenden Beziehungsverhältnisse. Dies ist keine simple Erzählung von Verliebtheit und Trennung. Es geht vielmehr um all die verwirrten Gefühle gegenüber dem Lauf des Lebens und den vielen Erfahrungen von Ungerechtigkeit darin. Warum kommen Menschen zusammen und erreichen großen Einfluss aufeinander, auch wenn es nicht so aussieht?
Tove Ditlevsen hat mit ihren Romanen "Vilhelms Zimmer" und "Gesichter" (im Original 1968 erschienen, dt. 2022) eine sehr bewusste Erzähltechnik mit vielen ganz offenbar autobiographischen Elementen geschaffen. In beiden Romanen heißt die Hauptfigur Lise Mundus, deutlich ein Alter Ego von Tove Ditlevsen. Im Mittelpunkt des nun übersetzten Buchs steht die Ehe von Lise mit dem Zeitungsredakteur Vilhelm Mogensen, der gleich zu Beginn zu einer Liebhaberin, Mille, abgehauen ist. Doch sein Zimmer ist immer noch da, und es liegt an Lise, den leeren Raum auszufüllen. Im richtigen Leben war Ditlevsen mit dem Zeitungsmann Victor Andreasen sehr schwierig verheiratet.
Der Roman zielt auch darauf, eben keine stabilen Identitäten abzubilden. Ditlevsen nutzt die Möglichkeit, die Icherzählerin immer wieder verschwinden zu lassen und durch eine Lise, die in der dritten Person auftaucht, zu ersetzen. So wird es möglich, das erzählende Ich und eine handelnde Romanperson derart miteinander zu verknüpfen, dass ein eher objektiver Blick auf Lise erarbeitet wird. Die Verfasserin wird so Gegenstand einer von ihr beschworenen Fiktion. Vilhelm taucht im Lauf des Buches wieder auf, verschwindet abermals; Ditlevsen erzählt die subtilen Verletzungen, Bösartigkeiten, Brutalitäten mit einer den Leser tief subkutan erreichenden Genauigkeit, die feinste Gefühlsverästelungen nachzuzeichnen versteht. Das macht den Roman auf eine überzeugende Weise modern, zeitgemäß.
Auf Anraten einer Freundin und mit Blick auf Vilhelms leeres Zimmer schaltet Lise eine Kontaktanzeige, worauf ein junger Mann, Kurt, als Untermieter bei ihr einzieht. Aber Vilhelms Zimmer ist es nicht, das Kurts Zimmer werden würde - trotz der vielen Affären, welche die Ehe von Lise und Vilhelm begleiteten, sitzt die Pflicht "Bis dass der Tod uns scheidet" tief in Lise; sie paart sich mit ausreichend Angst vor Vilhelm und den durch Untervermietung in Verbindung mit einer Affäre keinesfalls klärbaren Verhältnissen zwischen ihnen.
Tove Ditlevsen hat mit diesem Roman schon zu dessen Entstehungszeit Anfang der Siebzigerjahre eine überzeugende Studie männlicher Tyrannei vorgelegt und eine Grundlage für viele heutige Frauenrecht-Debatten geschaffen. Die Übersetzerin Ursel Allenstein hat diese Beobachtung in einem klugen Nachwort formuliert. Dass Allenstein die sehr anspruchsvolle dänische Prosa von Ditlevsen, fast möchte man sagen, genial, übersetzt hat, bleibt abschließend zu notieren. STEPHAN OPITZ
Tove Ditlevsen:
"Vilhelms Zimmer".
Roman.
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2024.
206 S., geb.
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