Taipeh: Yang Ning ist Tatortreinigerin und hatte früher den absoluten Geruchssinn. Nach dem Tod ihres Bruders ist sie allerdings mit dem partiellen Verlust dieser Gabe gestraft und kann sie nur noch an Orten des Todes und der Verwesung wieder zum Leben erwecken. Als sie zur Wohnung einer verschwundenen Person gerufen wird, wo sie aufräumen soll, merkt sie allerdings zu spät und nachdem die Räume von ihr schon gesäubert worden sind, dass sie in eine Falle gelockt wurde. Diese Wohnung ist ein Tatort, hier ist ein Mord geschehen. Prompt wird sie von der Polizei als Hauptverdächtige betrachtet.
Yang Ning begibt sich auf eine verzweifelte Suche, um sich zu entlasten. Sie folgt der schwer fassbaren Spur, die der Mörder hinterlassen hat - der Duft eines Parfüms namens Madame Rochas -, und nimmt dabei die Hilfe des berühmt-berüchtigten Serienmörders und Künstlers Cheng Chunjin in Anspruch, um das Innenleben eines psychopathischen Geistes zu verstehen. Um das Monster zu jagen, muss sie selbst zu einem Monster werden . . .
Besprechung vom 03.02.2025
Grenouilles Wiedergänger
Nichts für schwache Nerven: Die taiwanische Autorin Katniss Hsiao folgt in ihrem Thriller-Debüt Duftspuren
Schon Plato sah den Geruchssinn den anderen menschlichen Sinnen untergeordnet. In der Kunst wird er gern vernachlässigt, und selbst im Alltag achten die meisten Menschen nur in Ausnahmefällen darauf, wie etwas oder jemand riecht und welche Informationen ihnen dieser Duft liefert. Yang Ning ist anders. Die junge Taiwanesin, der wir in Katniss Hsiaos "Das Parfüm des Todes" folgen, hat den nahezu perfekten Geruchssinn: "Sie litt, von der Grundschule bis zur Uni; der Geruchsmix im Ranzen eines Mitschülers, die fettigen Haare der Sitznachbarin, der auf- und abebbende Menstruationsgeruch im Klassenzimmer machten sie wahnsinnig."
Seit sie nach Taipeh gezogen ist, verdient sie ihr Geld mit dem Reinigen von Tatorten. Der Arbeitsplatz ist eine "olfaktorische Folterkammer": "Wie jeder wusste, der einmal am Fundort einer Leiche war, war der Anblick einer solchen Szene bei Weitem nicht das Schlimmste, das Entscheidende war der Gestank." Für Yang ist das der einzige Ort, an dem ihre Sinne wieder funktionieren, denn seit dem Tod ihres jüngeren Bruders hat die Trauer sie nicht nur körperlich ausgezehrt, sie kann nun auch weder riechen noch schmecken, tapst als sensible Riechende fast blind durch die Welt. Nur wenn sie einen Tatort betritt und die Dünste von Tod und Verwesung in der Luft liegen, erwacht ihre Nase wieder.
Als sie eines Abends einen Eilauftrag für ihre Firma allein annimmt und über Nacht durchführt, steht schon bald die Polizei vor ihrer Tür. Sie hat einen Mordtatort gründlichst gereinigt, bevor die Ermittler ihn sichern konnten, und ist damit die Hauptverdächtige. Die Polizisten bemühen sich nicht groß, weitere Verdächtige aufzuspüren. Um ihre Unschuld zu beweisen, muss Yang sich also selbst auf die Spur des Mörders begeben. Dabei dient ihr der einzige Hinweis, den sie in der Wohnung wahrgenommen hat - ein Hauch des Parfüms "Madame Rochas".
Die taiwanische Originalausgabe des Romans erschien unter dem Titel "Bevor wir Monster wurden", der etwas besser als der deutsche davor warnt, dass dies keine Geschichte für schwache Gemüter ist. Hsiao nimmt das Thema Geruch sehr ernst, arbeitet das Viszerale daran heraus. Schon bei den ersten Tatortbeschreibungen wird es heftig: "Sie roch. Ein Gemisch aus verfaulten Algen, schimmeliger scharfer Bohnenpaste und einem Haufen toter Ratten. Ein Gestank, bei dem jeder normale Mensch würgen und sofort die Flucht ergreifen würde." Der Autorin gelingt es nicht nur die Gerüche so zu beschreiben, dass man sich beim Lesen manchmal die Nase zuhalten möchte. Mit kühler Präzision nimmt sie auch die ekligen Details in den Blick, die Tod und Verwesung mit sich bringen: "Yang Ning beugte sich über einen der klebrigen Blutflecke, dekoriert mit etlichen Maden und Kakerlaken, die sich mit zitternden Fühlern und schabenden Mundwerkzeugen hemmungslos an ihrem Mahl labten."
Dass sich bislang kaum ein Krimi-Autor an das Thema des Geruchs gewagt hat, mag daran liegen, dass jeder Versuch sich unweigerlich dem Vergleich mit Patrick Süskinds "Das Parfüm" stellen müsste. Hsiao geht das Problem frontal an, verheimlicht nicht, dass sie sich von Süskinds Roman hat inspirieren lassen, baut sogar kleine Referenzen als Hommage ein. So gibt Yang dem Phantom des Täters, dem sie hinterherjagt, den Namen "Grenouille". Und wie der gleichnamige Mörder in Süskinds Roman hat auch ihr Grenouille keinen körperlichen Eigengeruch. Das erzählt er selbst in kursiven Passagen, die immer wieder zwischen die langen Kapitel geschoben sind, in denen wir Yang Ning bei der Mörderjagd folgen.
Um besser verstehen zu können, wie der Typ tickt, der sie in eine Falle gelockt hat, nimmt Yang schließlich Kontakt mit dem verurteilten Serienmörder Cheng Chunjin auf, der seine weiblichen Opfer misshandelte, folterte und sie zuvor mit Parfüm einsprühte. Cheng sieht sich selbst als Künstler, Yang betrachtet ihn als das Monster, das er ist - und ist dennoch fasziniert von seinem feinen Geruchssinn und der damit einhergehenden Fähigkeit, Menschen zu manipulieren.
"Das Parfüm des Todes" ist das Debüt von Katniss Hsiao, die bislang als Drehbuchautorin für Filmproduktionen arbeitete. Die actiongetriebene Schnelligkeit hat sie aus diesem Metier für ihr Romanschreiben übernommen, blickt aber tiefer in menschliche Abgründe, als es die meisten Filme wagen würden. Schon wenn Yang versucht, sich in die Psyche des Serienmörders Cheng hineinzuarbeiten, spart sie nicht mit grausamen Details. Und so geht es weiter mit jedem neuen Verbrecher, dem sie auf ihrer Mörderjagd begegnet.
Das ist manchmal zu hart und zu viel, und man ist versucht, das Buch aus der Hand zu legen, wäre es Hsiao nicht gelungen, ihre Protagonistin so überzeugend zu zeichnen, dass man sich an deren Seite auch in die schwärzesten Tiefen wagt. Ihr ging es darum, schreibt Hsiao im Nachwort zur deutschen Ausgabe, eine zutiefst verletzte Person zu zeigen, die nicht den asiatischen Ansprüchen von Erfolg und Konformität entspricht und dennoch der Welt "mit zerstörerischer Entschlossenheit gegenübertritt". Das ist ihr gelungen. MARIA WIESNER
Katniss Hsiao: "Das Parfüm des Todes". Thriller.
Aus dem taiwanischen Chinesisch von Karin Betz.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
483 S., br.
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