Unser Toptitel-Autor im Interview: Ingar Johnsrud


Ingar Johnsrud, Jahrgang 1974, wuchs in Holmestrand auf. Er studierte Film- und Medienwissenschaften und arbeitete fünfzehn Jahre als Journalist bei einem der größten norwegischen Medienunternehmen. Sein erster Roman, der Thriller "Der Hirte", wurde als bestes Krimidebüt für den Maurits Hansen Prisen nominiert, und in seiner Heimat wird Johnsrud als neuer Star der skandinavischen Spannungsliteratur gefeiert. Wir haben mit dem Autoren gesprochen.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, Schriftsteller zu werden?
Die reine Neugier, würde ich sagen. Ich bin keiner dieser Autoren, die immer schon schreiben wollten. Durch meine langjährige Arbeit als Journalist habe ich allerdings zusehends Interesse an Texten und Sprache entwickelt - und daran, eine Erzählung zu konzipieren und die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken und zu fesseln. Ich wollte die "unausgesprochene Vereinbarung" zwischen Autor und Leser erkunden und herausfinden, ob ich dazu in der Lage sein würde, Geschichten zu erfinden, die sowohl unterhaltsam, spannend als auch überraschend sind.

Wo finden Sie die Inspiration für Ihre Romane?
Ich habe mal vom sogenannten Netflix-Modell gehört, demzufolge Netflix-Leute sich mit einer großen Gruppe potenzieller Zuschauer zusammensetzen und sie fragen, was sie gern im Fernsehen sehen würden. In einer dieser Runden haben die Befragten wohl gesagt: Korruption, Politik, Sex und Kevin Spacey. Das Resultat war House of Cards. (Keine Ahnung, ob das wahr ist, aber es ist eine gute Anekdote, darum erzähle ich sie gern.) Ich glaube, etwas ganz Ähnliches hab ich auch gemacht, als ich Der Hirte entworfen habe, nur dass ich, anstatt eine Menge anderer Leute zu befragen, mich selbst fragte, was mir an Krimis am besten gefällt. Ich mag sogenannte Hard-boiled-Ermittlergeschichten, und mich fasziniert, was Menschen in die Arme von religiösen Fundamentalisten treibt. Ich mag Geschichten über Korruption, aber auch Hoffnungsschimmer, Liebe und Verzweiflung. Ich habe immer schon ein Faible für Geschichte gehabt, insofern fühlte es sich ganz natürlich an, eine Vergangenheitsebene einzubauen, die nach dem Ersten Weltkrieg ansetzt und dann bis in den Zweiten Weltkrieg reicht.

Wer sind Ihre Lieblingsautoren? Und warum?
Harper Lee, Ernest Hemingway, Knut Hamsun, Jo Nesbø, Stieg Larsson und Henning Mankell, um nur ein paar zu nennen. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich, Hemingway beispielsweise war sozusagen meine erste literarische Entdeckung als Jugendlicher, und ich finde, sowohl er als auch Hamsun sind Meister darin, durch die Literatur die Tiefen der menschlichen Seele auszuloten. Nesbø, Larsson und Mankell stellen für mich die großen Vorbilder in der nordischen Krimiwelt dar, während Harper Lee eine der besten Schriftstellerinnen ist, die ich jüngst erst entdeckt habe. Ihr dichter, wenn auch langsamer Stil haut mich wirklich um.

Was tun Sie, wenn Sie nicht gerade schreiben?
Ich verbringe Zeit mit meiner Familie und mit den Kindern, sehe mir jede Menge Serien und Filme an, ich koche, besuche Konzerte und gehe gern mit Freunden das eine oder andere Bier trinken.

Wie würden Sie Ihren Debütroman "Der Hirte" mit einem Satz beschreiben? Der Hirte handelt davon, wie Ideologien und Fundamentalismus jeden von uns dazu verleiten können, Untaten zu begehen - und es ist eine Geschichte, die im Nordic-Noir-Genre verwurzelt ist.

Was hat Sie zu diesem Buch inspiriert?
Mein Wunsch, eine Geschichte zu erfinden, die den Leser bei der Kehle packt und bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Auf einer anderen Ebene wollte ich zudem erkunden, wie Menschen, die eigentlich gut sind und es gut meinen, gebrainwashed und manipuliert werden können, bis sie teuflische Taten begehen.

Welches ist Ihre Lieblingsfigur und warum?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, aber ich glaube, meine Lieblingsfigur ist Fredriks Partnerin Kafa Iqbal. Als junge Muslima in einer männlich dominierten Polizeiwelt mit einem Background beim Nachrichtendienst stellt sowohl ihr Privat- als auch ihr Berufsleben ein Minenfeld aus Verpflichtungen, Erwartungen und Enttäuschungen dar. Sie ist eine starke Figur, die letztendlich weiß, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen kann.

Welche Szene war am schwierigsten zu schreiben?
Noch so eine schwierige Frage. Actionszenen sind nicht leicht zu schreiben, weil sie einerseits Tempo erfordern, andererseits aber auch Sinn fürs Detail, für Originalität und für eine düster-humorige Herangehensweise. Diese Szenen hab ich wohl am häufigsten neu schreiben müssen. In anderer Hinsicht schwierig waren die Passagen, die vom Innenleben der Hauptfiguren handelten, von ihren Ängsten und Hoffnungen. Leser von heute erwarten glaubwürdige Charaktere, und um diese Erwartung zu erfüllen, habe ich viel Arbeit investiert.
Blogbanner