Besprechung vom 22.03.2025
Der Manierismus als Krimi
Laurent Binets Roman "Perspektiven" entblättert die intrigante Welt der Hochrenaissance in Florenz - und verheddert sich im Heute.
Von Stefan Trinks
Von Stefan Trinks
Wer seine Freude an Dan Browns verschwörerischen Kunst-Krimis hat, wird auch Laurent Binets neues Werk "Perspektiven" lieben, des Autors vierten Roman nach dem 2012 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten "HHhH", "Die siebte Sprachfunktion" und "Eroberung". Der Meister des Manierismus, der betagte Jacopo da Pontormo, wird nach nächtlicher Arbeit an seinen Fresken in San Lorenzo von einem Hammer am Kopf und von einem Meißel tödlich ins Herz getroffen aufgefunden - die wiederholte Metapher einer letal präzisen Perspektive von Schüssen und Schlägen verleiht dem Buch auch den Titel. Dort im Chor der Grablege und Hauskirche der Medici in Florenz ist ein Teil der von Pontormo über Jahre strikt hinter einer Bretterwand abgeschirmten Fresken beschädigt und von fremder Hand übermalt, vor allem aber findet sich in im Atelier des Malers ein die Medici kompromittierendes Gemälde, das eine nackte Venus mit den Gesichtszügen von Cosimo de' Medicis und Eleonora di Toledos Tochter Maria zeigt, die aus machiavellistisch-strategischen Gründen an die D'Este in Ferrara "verscherbelt" werden soll, wie die von den Eltern über ihren Kopf hinweg versprochene Maria klagt.
Als Hercule Poirot (nur mit wesentlich weniger Auffassungsgabe gesegnet) in diesem Spätrenaissance-Whodunit beauftragt Cosimo de' Medici seinen Höfling und Erbauer der Uffizien, Giorgio Vasari, den alle anderen im Buch erscheinenden Künstler - und es kommen von Allori bis Naldini, von Bronzino bis Michelangelo und von Cellini bis zur malenden Nonne Plautilla Nelli alle Florentiner Maler und Bildhauer von Rang vor - als widerlichen Speichellecker seines Herren schmähen.
Dies geschieht in Briefform, denn Binet greift zum Kniff des kitschig behaupteten Konvolutfundes von unentdeckten Schriften in einem Antiquariat in Vasaris Geburtsstadt ("Als ich in Arezzo in einem Laden nach einem Mitbringsel . . . stöberte - und es sollte nicht gerade eine etruskische Kleinplastik sein -, bot mir ein einarmiger Antiquar ein Konvolut von alten vergilbten Briefen zum Kauf an"), der deutschen Lesern unter anderem von Bastian Balthasar Bux und seinem antiquarischen Fund der "Unendlichen Geschichte" bekannt ist, der jedoch auch ein vertrauter Topos pseudohistorischer Romane ist. In mehreren Dutzend Briefen beschuldigen sich nun die dramatis personae gegenseitig des Mordes am großen greisen Pontormo, während Sherlock Vasari, der die mehr oder weniger schmeichelhaften "Viten" über alle Verdächtigten schrieb, bis kurz vor Schluss der eilig binnen Tagesfrist hin- und hergesandten Briefe im Dunkeln tappt.
Es wäre nun wohlfeil, Binet beckmesserisch (wie einst ein passionierter Apokalypseforscher Umberto Eco die Beschreibung der falschen Beatus-de-Liebana-Apokalypsehandschrift im "Namen der Rose" auf vielen Seiten vorwarf) die kunsthistorischen Fehler nachzuweisen - weder gibt es in der Kunst "Abels Opferung", sondern nur eine "Tötung Abels" oder ein "Kainsopfer", noch gab es Palio (statt Calcio) zwischen einem Team Santa Croce und Santa Maria Novella, und keinesfalls blieb Michelangelo seiner geliebten Heimat Florenz aus Feigheit ein Vierteljahrhundert fern, sondern er hätte als Republikaner bei Rückkehr aus Rom ernsthafte Konsequenzen zu gewärtigen gehabt. Binet schützt sich prophylaktisch durch die Wahl seines Corpus Delicti, der teils abgemeißelten und neu auffreskierten Wandmalereien im Chor von San Lorenzo. Tatsächlich bilden diese von Pontormo 1546 bis zu seinem Tod 1557 nicht vollendeten Fresken nach Aussage aller Künstler der Zeit das einzig ernst zu nehmende Pendant zu Michelangelos Sixtina in Rom, haben aber für eine danbrowneske Detektivgeschichte den großen Vorteil, dass sie bei einem statischen Umbau der Medici-Kirche 1742 restlos zerstört wurden. Außer einigen Vorzeichnungen ist nichts von ihnen überliefert, was Binet einen Phantasievorschuss verschafft.
Ebenso verhält es sich mit der kompromittierend sündigen Venus mit Maria de' Medicis Zügen, von der immerhin bekannt ist, dass Pontormo sie nach einer Vorlage Michelangelos anlegte. Zudem hat sich Binet tief eingelesen in die Kunst- und Intrigenlandschaft Florenz; er kennt die kriegerischen Umtriebe des französischen Königs und seiner Frau Caterina de' Medici in Italien, sämtliche Intrigen der Strozzi, Borgia oder Päpste wie Paul IV. und weiß sogar, dass kein Geringerer als Michelangelo die gewaltigen Bastionen von Florenz erbaute, was dem Autor die Steilvorlage für einen angeblich vom Künstler in die Stadtmauer eingebauten geheimen Zugang bietet, der noch von einiger Wichtigkeit werden soll.
Echte Kunstkenner und historisch ernsthaft Interessierte allerdings könnten Probleme mit dem von Binet in schräg verzerrten manieristischen Farben ausgemalten Panorama haben. Wie der tote Romanprotagonist Pontormo mit Vorliebe Grellgelb auf Lila oder Orange auf fahles Grün stoßen ließ, so kitzelt auch Binet die Farbigkeit seiner Erzählung hoch. Stets schlägt er nur die schrillsten Töne an, und auch wenn Benvenuto Cellini, Künstler der "Saliera" als teuerstem Kunstwerk der Renaissance, ein furchtbares Großmaul und als selbsterklärter und real erwiesener - jedoch von Cosimo de' Medici ob seiner künstlerischen Verdienste wiederholt begnadigter - Mörder mehrerer Männer ohnehin ein schlimmer Charakter ohne selbigen war, dichtet Binet ihm noch weitere Morde an.
Am störendsten aber ist das beständige Springen zwischen den Stillagen, wenn Renaissancethemen in heutigen Begriffen verhandelt werden (wenngleich der Übersetzer Kristian Wachinger hier wohl schon etwas nivellierte). Obwohl heftige Arbeitskämpfe wie im neunzehnten Jahrhundert historisch schon für das ohnehin überreglementierte Florenz belegt sind, gab es das Wort "Mindestlohn" noch nicht, keine "guten Kumpel" oder einen Michelangelo, der seine doppelschalige Petersdomkuppel "keinen Pappenstiel" genannt hätte. Die in Ungnade gefallene Maria wäre mit Sicherheit nicht vom "Vater nach Amerika" geschickt worden, und auch wenn die Ordnungskräfte des autokratisch regierenden Cosimo allerorten waren, kreuzten dennoch keine "Polizeiboote" auf dem Arno. Die wiederholte Beleidigung der Maler-Nonne Plautilla als "zänkische Schreckschraube" und die fast manischen Beschreibungen fast aller involvierten Künstler als mit grässlichen Geräuschen kopulierende Sodomiten ermüden ebenfalls.
Warum diese zwanghaften und unnötigen Aktualisierungen? Vielleicht verrät der gegen Ende Michelangelo in den Mund gelegte Satz "Die Menschen von morgen werden nicht besser sein als die von heute" mehr über die Absicht seines Autors, eine comédie humaine im geheimnisvoll raschelnden Renaissancegewand schreiben zu wollen, als diesem lieb sein kann.
Laurent Binet: "Perspektiven". Roman.
Aus dem Französischen von Kristian Wachinger. Rowohlt Verlag, Hamburg 2025. 304 S., geb.
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