Besprechung vom 11.02.2025
Die männliche Mutter
Gut verheiratet, dieser Raufbold: Jóhanna Katrín Friðriksdóttir fragt nach den Frauen in der Wikingerzeit und findet Stolz, Streitlust, Sehnsucht und Dominanz.
Als der Isländer Gisli, der wegen des Mordes an dem Mann seiner Schwester Thordis geächtet und auf der Flucht ist, schließlich von den Häschern gestellt wird, ist seine Frau Aud bei ihm. Sie besteigen einen Felsen, um sich besser verteidigen zu können. Zwei Häscher, Eyjolf und Helgi, klettern auf verschiedenen Seiten den Felsen hoch. Gisli spaltet Helgi den Schädel, Aud aber nimmt einen Knüppel und schlägt Eyjolf damit so hart, dass der den Felsen herunterrutscht. Und Gisli kommentiert das mit den Worten: "Das wusste ich schon lange, dass ich gut verheiratet bin, aber dass es so gut ist, wusste ich nicht."
Trotz der Hilfe durch seine Frau unterliegt Gisli am Ende und wird von Eyjolf erschlagen. Als der danach bei Gislis Schwester Thordis und deren neuem Mann vorbeischaut, wird er gut aufgenommen - schließlich hat er Thordis' ersten Ehemann gerächt. Doch als Thordis bei ihm Gislis Schwert als Trophäe sieht, ergreift sie die Waffe und versucht, den Mörder ihres Bruders umzubringen, verletzt ihn aber nur.
Zwei handgreifliche Frauen in derselben Saga, einem altnordischen Roman aus dem dreizehnten Jahrhundert. Dass die eine Erfolg hat und die andere nicht, liegt auch an der Wahl der Waffen: Einen Knüppel schwingt man auch ungeübt recht effektiv, ein Schwert nicht. Insofern taugt Thordis, obwohl sie kämpft, gerade nicht als empirischer Beleg für das in der modernen Wikinger-Rezeption beliebte Bild der blutrünstigen nordischen Kriegerin - nicht in der Sagaliteratur und auch nicht als Abglanz der Realität in der Fiktion.
Jóhanna Katrín Friðriksdóttir, Literaturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Norwegischen Nationalbibliothek, geht in ihrem Buch "Walküren" der Frage nach, was sich über Frauen in den nordischen Gesellschaften der Wikingerzeit sagen lässt, über Individuen ebenso wie über bestimmte Gruppen. Die Quellen, die sie dafür heranzieht, sind zum Teil archäologischer oder paläogenetischer Natur, zum überwiegenden Teil aber stützt sich die Autorin auf mittelalterliche Texte, vor allem Sagas.
Tatsächlich sind die dort erzählten Geschichten kulturelle Zeugnisse, wie sie keine andere Region der Welt aufzuweisen hat, die das Selbstverständnis von Ländern wie Island und Norwegen noch immer prägen und die entsprechend wertgeschätzt werden. Vor Kurzem wurde in der isländischen Hauptstadt ein modernes Gebäude eröffnet, in dem die mittelalterlichen Handschriften des Landes verwahrt und zum Teil auch unter anspruchsvollen konservatorischen Bedingungen gezeigt werden. Um aber zu ermessen, welchen Wert man ihnen als Quellen zur Sozialgeschichte der Wikingerzeit zuerkennen kann, ist es sinnvoll, die Texte jeweils einzeln zu betrachten. Denn insgesamt, weiß Friðriksdóttir, stellen Sagas "keine verlässlichen Zeugnisse des Lebens in der Wikingerzeit dar", vermitteln aber "einen Hauch von Realität".
Der dürfte eher gering sein, wenn es um die in der "Edda" beschriebenen Götter wie Odin, Loki oder Thor geht, denen als weibliche Protagonistin vor allem die Göttin Freyja gegenübersteht - wenig bekannt ist die eddische Überlieferung, dass die toten Krieger, die von den Walküren auf dem Schlachtfeld aufgesammelt und zur Verwendung in der künftigen Schlacht Ragnarök fortgeführt werden, nicht nur zu Odin, sondern zum Teil auch in Freyjas Obhut gebracht werden. Was durch die Schilderung der Göttin und der Walküren über das Leben realer Frauen der Wikingerzeit auch nur suggeriert werden kann, ist vollständig spekulativ. Und auch die mythisch aufgeladenen sogenannten Vorzeit-Sagas bieten in dieser Frage kaum belastbares Material.
Anders sieht es mit Texten aus, die von mutmaßlich realen Personen und Ereignissen handeln. Ihnen entnimmt die Autorin Informationen zum Radius, zur Autonomie und zum Rechtsstatus bestimmter Individuen, zu ihren Möglichkeiten, über Heirat und Scheidung, Wohnsituation und die Verwendung von Besitz zu entscheiden. Sie stellt dichtende Frauen vor und solche, die beherzt in der Gesellschaft von mächtigen Männern das Wort führen, Frauen, die zu Hause sitzen und sich von der weiten Welt erzählen lassen, und solche, die mit ihren Männern unterwegs sind und deren Überreste dann von Archäologen in Massengräbern gefunden werden - wiederum mit den Männern.
Dabei findet die Autorin in den untersuchten Texten Hinweise auf unterschwellige Kritik einer "patriarchal geprägten Ordnung" und die "Sehnsucht von Frauen nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung". Dass jedenfalls Geschlechterrollen in den Sagas nicht immer als statisch hingenommen werden, zeigt schon der Titelheld der berühmten Njáls-Saga mit seiner Frau. Und wenn ein Säugling gestillt werden muss, dessen Mutter gerade erschlagen worden ist, kann, so zeigt es eine andere Saga, in der Vorstellung des Dichters auch schon mal der Vater einspringen.
Den Eindruck einer insgesamt dynamischen, von Migration geprägten Gesellschaft vermitteln auch die Untersuchungen am Erbgut einschlägiger Gräber, was Friðriksdóttir geschickt für ihre literarisch gestützte Argumentation nutzt. In den Sagas jedenfalls findet sie "unzählige Beschreibungen von ungehorsamen, stolzen, lauten, dominanten, mutigen, klugen, angriffs- und streitlustigen Frauen vor, die sich nicht mit ihrer stillen Webarbeit abfinden". Ob es ihnen vergönnt war, ist eine andere Frage. TILMAN SPRECKELSEN
Jóhanna Katrín Friðriksdóttir: "Walküren". Frauen in der Welt der Wikinger.
Aus dem Englischen von Franka Reinhart und Violeta Topalova. C. H. Beck Verlag, München 2024. 304 S., Abb.
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