Der 7. Oktober 2023 hat sich mir tief in die Seele gefressen, mit allem, was damit zusammenhängt, was ich höre, lese, anschaue und fühle. Ja, auch Hass gegen die Hamas gehört dazu. Nun habe ich mit Lizzie Doron eine Seelenverwandte gefunden, die das aus der Sicht einer Jüdin, einer Israelin zum Ausdruck bringt. Sie ist nur ein Jahr älter als ich, 1953 geboren und Nachkomme von Holocaustopfern. Schon 2011 schrieb die Journalistin Cornelia Rabitz Doron hat ihr Thema gefunden. Es sind die Albträume der Davongekommenen, die Gespenster der Vergangenheit - aber auch die Grotesken des Alltags. (Zitat Wikipedia) und meinte damit Dorons Buch Das Schweigen meiner Mutter. Doron hat viele Romane veröffentlich, das Thema ist immer das jüdische Leben und Überleben. Nun legt sie einen schmalen Band vor, der ihre Gedanken und Gefühle, ihren Schmerz und ihre Trauer, ihre Wut und ihre Ohnmacht seit jenem 7. Oktober, seit dem unsäglichen, menschenunwürdigen Massaker der Hamas in Israel ausdrückt.
Und in all dem Chaos, was sich über Israel wie ein schwarzes Tuch ausgebreitet hat, da fragt sie sich Und ich? Was empfinde ich? die Frage beantwortet dieses Buch, das auf ungeschminkte Weise, aber doch sehr poetisch und emotional beschreibt, wie ein Mensch weiterleben kann in diesem Horror. Ist sie wirklich auf der Schokoladenseite, nur weil ihr Haus noch steht, ihre Lieben alle unversehrt sind? Schwer zu sagen, wenn jedes Kaffeetrinken von einem Luftalarm unterbrochen wird, wenn Demonstranten gegen Israel schreien, wenn eigene Landsleute im Kugelhagel sterben, wenn eigene Landsleute meinen, Israel begeht Genozid an den Palästinensern? Wie fühlt man sich als Israeli, wenn Touristen sensationslüstern die Kibbuze besichtigen, die niedergebrannt wurden, wo die Menschen erschlagen und vergewaltigt wurden?
Trotzdem vergeht der Autorin nicht der Humor, mit leiser Ironie blickt sie auf Verwandte und Freunde und schreibt auch mal Na, die hat ihr Rezept zur Maximierung der eigenen Erschütterung gefunden, denke ich. Ich vermute, das Lakonische und Ironische ihrer Betrachtungsweise hält sie am Leben, hält sie ab und zu auch auf Abstand, wenn alles Äußere dem Herzen zu nahekommt.
Ich erhielt einen viel tieferen Einblick in die israelische Seele und das tägliche Leben als es durch die Medien hier in Deutschland je vermittelt werden könnte, auch die Ambivalenzen werden nicht ausgespart. Noch kommt die Autorin (gern?) nach Deutschland, das ihr beinahe zur zweiten Wohnstatt wurde. Heimat will ich es nicht nennen. Hoffentlich aber kann und will sie auch in Zukunft noch unser Land besuchen, in dem der Ton seit dem 7. Oktober 2023 gegenüber Juden sehr viel rauer geworden ist, wo pro-palästinensische Demonstrationen zu Israels Vernichtung aufrufen und empfohlen wird, in der Öffentlichkeit keine Kippa und keinen Davidstern zu tragen. Für mich wäre es unerträglich, müsste ich als Israeli unser Land unter diesen Vorzeichen besuchen. Aber ich lebe hier und muss es aushalten und dagegenhalten.
Fazit: Jeder Mensch ist verschieden beim Bewältigen von Trauer, Tragödien und Horror. Jedem sein eigener Krieg. Und auch seine eigene Freiheit, damit umzugehen. Lizzie Doron hat mich mit diesen nur 160 Seiten tief beeindruckt. Absolute Leseempfehlung.