Der Autor berichtet als Ich-Erzähler von seinem neu gefundenen Wohnort La Paillette im Département Drôme, das ist im Südenosten Frankreichs. Pitoresk ist es, wenige Menschen, viel Natur. Und viel Geschichte. An der Hauswand entdeckt Le Tellier eine Inschrift, den Namen André Chaix. Er findet heraus, dass dieser André mit gerade einmal 20 Jahren im Widerstandskampf gegen die boches gestorben ist. Seine Recherchen führen ihn zu Archiven und er erhält eine kleine Schatulle mit ideellen Schätzen, aus denen er ein ganzes Leben rekonstruiert. Er lernt viele andere kennen, Lebende und Tote, Helden, Kämpfer, Hinterbliebene, Kollaborateure, die auf irgendeine Weise in Verbindung standen zu diesem tapferen jungen Mann und dem Kampf der Resistance. Aus seinen Recherchen, Erfahrungen und Erkenntnissen setzt er Stück für Stück des so furchtbar beendeten Lebens von André zusammen, auch wenn er vieles nur vermuten kann. Es entsteht eine fiktionale Biografie, die sehr berührend ist.
Auf der einen Seite stehen die Opfer, die Helden jener Zeit, auf der anderen Seite gibt es die Täter, die wenig oder gar nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Zufällig las ich vor kurzem den Roman Frag nicht nach Agnes, in dem deutsche Täter, die u. a. in Tulle ein Massaker anrichteten, der Justiz entgingen. Jene Deutschen aber, die nach Gerechtigkeit riefen, waren die Nestbeschmutzer. Vorher hatte ich noch nie von Tulle gehört, nur Oradur-sur-Glane war mir ein Begriff und natürlich der Nazi-Schlächter Barby.
Ich finde das folgende Zitat sagt viel aus über den Autor und sein Engagement, das fast Vergessene wieder an die Oberfläche und in die Erinnerung zu bringen: Was ich weiß, ist, dass ich ohne diesen in eine Wand gravierten Namen, dass ich ohne André Chaix als Senkblei niemals diese Epoche hätte erkunden können, in der Großherzigkeit und Mut mit Egoismus und Niedertracht eng beieinanderlagen wie nur selten. Niemals hätte ich so engen Umgang mit Männern wie Henri Roché, mit Frauen wie Marguerite Soubeyran gehabt, die ein immenses Vertrauen in den Menschen setzten. Ja, dass man immer noch, trotz aller Tragödien und Schrecken in der Vergangenheit auch Vertrauen in die Menschen und in die Zukunft braucht, das nehme ich aus diesem Buch mit.
Der Schreibstil von Le Tellier gefällt mir jedoch nicht so sehr, mancher Satz ist kaum zu entschlüsseln, manches erschließt sich nur mit viel Fantasie. Ich kann nicht gut genug Französisch, um das Original zu lesen, so kann ich nur vermuten, dass die Übersetzer sehr nah am Original geblieben sind. Schon Die Anomalie fand ich schwer lesbar, auch dieses Buch war, wie alle anderen Romane von Le Tellier von Jürgen und Romy Ritte übersetzt worden. Ich vermute, dass beide unterdessen wahre Experten für den aus meiner Sicht anstrengenden Schreibstil des Autors geworden sind.
Das Cover ist sehr ansprechend gestaltet, André und seine geliebte Simone werden in so inniger Zweisamkeit gezeigt, dass es mir beim Lesen über ihre Liebe die Tränen in die Augen trieb. Und ihr Leben ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem Unglück, dass der Zweite Weltkrieg verursacht hat.