Kategorie:Abenteuer |Freundschaft| Heldengeschichte| MärchenBesonderheit: Wohlfühl-Abenteuergeschichte, die trotzdem nicht langweilig wird, angehaucht von verschiedenen Mythologien und mit einer überraschenden Doppelbödigkeit.Persönliche Notiz:Ich habe das Buch in meiner frühen Kindheit bereits öfter gelesen und es nun zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder in die Hand genommen. Dementsprechend gespannt war ich, ob sich der positive Eindruck gehalten hat.Worum dreht sich die Handlung?:Im Tal der Drachen, einer der letzten Zufluchtsstätten für die bedrohten Fabelwesen, herrschte die letzten hundert Jahre Frieden. Nun ist es damit aber vorbei - die Menschen sind auf dem Vormarsch und die Drachen müssen fliehen, nicht zum ersten Mal. Nur ist die ganze Welt bereits von den Menschen eingenommen und keiner weiß, wo es noch einen sicheren Zufluchtsort geben soll. Eine letzte Hoffnung bleibt - alte Sagen erzählen von einem verborgenen Tal im Himalaya, einem für die Menschen unerreichbaren Ort, von dem die Drachen einst gekommen sind. Leider kennt keiner mehr den Weg dorthin, manche behaupten sogar, dieser Ort sei nichts als Legende. Der junge Drache Lung hat sich in den Kopf gesetzt, diesen Ort als Zufluchtsort für seine Verwandten wiederzuentdecken. Gemeinsam mit dem Koboldmädchen Schwefelfell bricht er auf, um den sagenhaften "Saum des Himmels" zu finden. Doch der Weg dorthin ist nicht ungefährlich: Drachen ziehen Fabelwesen magisch an und nicht jedes ist den Reisenden wohlgesonnen. Nur mithilfe einer rattengezeichneten Karte und in Begleitung des heimatlosen Jungen Ben, den sie unterwegs aufgabeln, steht ihnen eine weite und unübersichtliche Reise bevor. Und bald stellt sich heraus, dass sich ein unheimlicher Gegner an ihre Fersen geheftet hat. Ein alchimistisch erzeugtes Wesen, das nur den brennenden Wunsch kennt, die letzten auf der Erde lebenden Drachen zu jagen und zu erlegen...Große Themen im Hintergrund:Naturzerstörung und -schutz, Gier und Bosheit im Kontrast zu Sanftmut und Freundlichkeit, Stärke der vermeintlich Schwachen durch Zusammenhalt und uneigennützige Hilfe.Teilbewertung (Legende *= hat mich nicht überzeugt, **= ausbaufähig, ***=solide/gut zu lesen, ****= sehr gut/klare Empfehlung, *****= exzellent/schwer zu erreichen):Handlung ***°Die vordergründige Handlung ist spannend und abwechslungsreich. Die Ereignisdichte ist hoch, was sich das Buch bei dem ruhigen Erzählstil jedoch gut leisten kann. Es gibt viel Kontakt zu anderen Fabelwesen, der immer wieder anders verläuft und Spannung erzeugt. Der Antagonist wird langsam eingeführt und seine Hintergründe Stück für Stück enthüllt - er ist bei Weitem nicht das einzige handlungserzeugende Element, sorgt aber für reichlich düstere Atmosphäre und Spannung. Vor allem, da der Gegner zunächst unbesiegbar scheint.Während der Geschichte wechseln sich ruhige mit spannenden oder gefahrvollen Szenen ab, so dass man immer wieder zu Atem kommt. Die ruhigen Szenen sind oft schön und verträumt geschildert.Im Hintergrund steht mit der Ausbreitung der Menschen ein ernstes Thema. Die Drachen, eigentlich riesige Tiere, werden gegenüber den Menschen als hilflos und schutzbedürftig geschildert. Dies könnte eine Allegorie zur Natur darstellen, die zwar über gewaltige Kräfte verfügt, aber von den Menschen nachhaltig geschädigt werden kann.Generell sind die Drachen unklischiert als ruhige, sanfte und friedfertige Wesen voller Grundvertrauen zu anderen Lebewesen und Feuer mit Heilkräften geschildert, die nur bei Mondlicht fliegen können. Das passt zu der östlich verorteten Herkunft, wo Drachen als Glücksbringer gelten.Schade sind gewisse Inkosistenzen in der Beschreibung der Ratten, die hier als Helfer und Sympathieträger auftreten. Der Anthropomorphisierungsgrad kam mir nicht konsistent vor, außerdem sind sie die einzigen Tiere, die "vermenschlicht" wurden, inklusive Kleidung usw. und die direkt mit den Menschen kommunizieren können. Das hätte es für mich nicht gebraucht, ich hätte sie auch gern etwas "rattiger" gesehen.Die Geschichte ist insgesamt hoffnungsvoll und auf Zusammenhalt und das Überwinden von Vorurteilen ausgerichtet. Die Sanftmut siegt hier über die Boshaftigkeit, die ihren eigenen Schöpfer vernichtet und danach jahrhundertelang nicht zur Ruhe kommt.Trotz aller Spannung ist die Geschichte nicht zu aufregend, da der Ausgang und der Sieg des Guten vorhersehbar ist, daher hilft es, die Gegensätze und Allegorien zu genießen. Die Geschichte kommt ohne Tote oder Gewalt aus sondern beruft sich auf einen guten Kern in jedem Wesen. Aufbau ***Die Ereignisdichte ist, wie schon erwähnt hoch, aber durch den Wechsel von ruhigen und spannenden Szenen wirkt die Geschichte nie hektisch. Der Spannungsbogen ist gut geführt und Informationen werden schrittweise bekannt gegeben, so dass die Geschichte nicht durchhängt. Es bleibt bis zum Schluss unterhaltsam, die entscheidenden Wendungen werden erst am Schluss klar.Charakterzeichnung ***°Die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander sind ruhig und konstistent geschildert. Hier wird gezielt mit Klischees gebrochen: Der riesige Drache, eigentlich der einzige "Erwachsene" ist eher naiv veranlagt, wenn auch hinter seiner Sanftmut viel Reife steckt, das eigentlich jüngere Koboldmädchen nimmt die Rolle der abgeklärten, erwachsenen Ansprechperson ein, wobei ihr Zynismus und ihre Verfressenheit und kindliche Art hilft, sie nicht wie einen Aufpasser wirken zu lassenBen, der Menschenjunge, hingegen stellt am ehesten die Identifikationsfigur für den Leser/die Leserin dar. Mit ihm bietet sich die Möglichkeit, zu staunen und die Welt der Fabelwesen neu zu erkunden. Die größte Charakterentwicklung macht ein Nebencharakter durch, der zum ersten Mal ein Gewissen entwickelt, selbständig entscheiden lernt und die Fähigkeit erlernt, andere zu lieben, nachdem er zum ersten Mal echte Zuneigung erfahren hat. Dies ist sehr reizvoll zu lesen. Selbst die auf Sympathie getrimmten Sidekicks, die mir normalerweise als erste auf die Nerven gehen (hier aber nicht), passen stimmig zur Geschichte. Sprache und Stil ***°Der Schreibstil ist sehr bildreich und detailverliebt - aber hier nicht überladen. Was bei der Autorin in anderen Büchern manchmal fast überladen wirkt, hat hier genau das richtige Maß. Der Erzählstil ist sehr schön und unaufgeregt, dabei aber stimmungsvoll und man fühlt sich darin wohl. Selbst in hektischen Situationen nimmt sich die Sprache noch Zeit, auf die Atmosphäre zu achten, in den ruhigen Szenen wird der Tonfall sehr zart und verträumt. Obgleich leicht zu lesen, driftet die Geschichte nicht ins Oberflächliche ab.Spannend ist der Umgang mit diversen Märchenmotiven aus orientalischen und europäischen Märchen. Wasser und Brunnen spielen eine gewisse Rolle, ebenso Wüsten und Mondlicht. Ebenso tritt immer wieder ein "vertsteinern vor Angst" in zahlreicher Variation zu Tage, das genausowenig eine Option ist wie das Anwenden von Gewalt. Zielgruppe(n)Menschen mit Phantasie, die nicht immer Aktion brauchen, um die Spannung einer Geschichte genießen zu können. Man sollte bereit sein, sich in die Welt der Fabelwesen entführen zu lassen und aufmerksam zu lesen, da die Geschichte nicht von Tempo lebt (obgleich sie sich schnell liest) und in der Stimmung sein, sich Zeit für die märchenhaften Details zu nehmen. Vorrangig ist die Geschichte für Kinder geschrieben, doch wie bei den meisten guten Kindergeschichten können auch Erwachsene mit dem entsprechenden Mindset sie genießen und gewisse Hintergrundtöne eventuell auch deutlicher wahrnehmen.Fazit ***°Das Buch lässt einen mit einem guten Gefühl zurück. Während der Geschichte, hat man das Gefühl - und am Ende auch die Gewissheit - das alles gut gehen wird. Eindeutig eher ein Wohlfühlbuch (wie viele Bücher für diese Altersgruppe), dabei aber trotzdem spannend, mit eher düsteren Passagen ausgestattet und nicht zu schnell oder oberflächlich erzählt. Die Charaktere sind reizvoll und die Grundbotschaft von Verantwortung und Zusammenhalt ist immer aktuell. Sprachlich ist das Buch wirklich schön und die fantastischen Elemente und Märchenmotive fügen sich flüssig in die Abenteuergeschichte ein. Störend waren nur kleinere Inkosistenzen (zum Beispiel der Vermenschlichungsgrad der Ratten). Ein tolles Buch, um Freude an Details zu haben und eine Geschichte, die es verdient, auch von Erwachsenen ernst genommen zu werden.