Besprechung vom 22.12.2024
Meine Bücher des Jahres
Was ich über Wirtschaftsgeschichte, Islam und Kreativität gelernt habe.
Von Rainer Hank
Wie wär's damit, an diesen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr mal wieder Monopoly zu spielen? Was haben wir als Kinder dieses Spiel geliebt! Ein König, wer es auf Schlossallee oder Parkstraße geschafft hat, um dort seine Hotels zu bauen. Ich mochte trotzdem die Goethe- und Schillerstraße lieber.
Später dann galt uns das Spiel als Sinnbild des bösen Kapitalismus. Klar, es geht darum, als Monopolist reich zu werden. Die, die es nicht schaffen, verschwinden aus dem Spiel. Was ich nicht wusste: Monopoly, entwickelt im Jahr 1904 von der amerikanischen Spieleerfinderin Elizabeth Magie unter dem Namen "The Landlord's Game", war ursprünglich dazu gedacht, die negativen sozialen Auswirkungen von Monopolen zu veranschaulichen. Es passte in das späte 19. Jahrhundert, als Leute wie John D. Rockefeller mit seinem "Standard Oil Trust" 90 Prozent der Erdölraffinerien kontrollierten. Und die USA mit dem "Sherman Antitrust Act" von 1890 die Zerschlagung wettbewerbsschädlicher Monopole ermöglichten.
Die Geschichte von Monopoly fand ich in einem Buch, das sich als "kürzeste Wirtschaftsgeschichte" präsentiert; der Autor Andrew Leigh, ein australischer Wirtschaftsprofessor, löst dieses Versprechen auf weniger als 200 Seiten bravourös ein. Klassische Wirtschaftsgeschichten benötigen dafür viele Hundert Seiten.
Leighs kurze Geschichte ist die erste Empfehlung meiner Bücher des Jahres. Weil sie kurz ist und auch weil sie unterhaltsam und zugleich lehrreich ist und die Wohlstandsgeschichte der Menschheit als Fortschrittsgeschichte erzählt.
Zwei Belege: Dass Anreize ("Incentives") wirken, veranschaulicht Leigh am "Baby Bonus", den Australien vom 1. Juli 2004 an für jedes Neugeborene auslobte. An diesem 1. Juli 2004 erreichten die Geburtenzahlen einen nie wieder erreichten Rekord. Warum? Geburten wurden aufgeschoben, Kaiserschnitte verzögert - ein rationales Verhalten, um das Staatsgeld zu bekommen. Es gibt Belege, dass Menschen auch den Zeitpunkt ihres Todes strategisch verzögern, damit die Hinterbliebenen von attraktiveren Erbschaftssteuerregeln profitieren.
Das zweite Beispiel beweist die geniale Leistung der globalen Arbeitsteilung - und warum Autarkiesehnsüchte teuer und zum Scheitern verurteilt sind. Der Designer Thomas Thwaites hat sich vor einigen Jahren das heroische Projekt vorgenommen, einen Toaster von Grund auf ausschließlich mit eigener Arbeit und selbst hergestelltem Material zu fertigen. Das funktionierte, dauerte aber neun Monate, was bezogen auf den durchschnittlichen Arbeitslohn einem Preis von gut 20.000 Euro zuzüglich Materialkosten entspricht. Bei Amazon gibt es formschöne Toaster für 20 Euro, die ihren Zweck erfüllen. Thwaites' Toaster dagegen schmolz wenige Sekunden nach Inbetriebnahme in sich zusammen.
Ich komme zu meiner zweiten Buchempfehlung. Was sind eigentlich Islamisten? Warum herrscht in vielen Regionen des Nahen Ostens so viel Gewalt, und warum gibt es dort so wenig Wohlstand? Das sind naive Fragen, die mir zuletzt nach dem Sturz des Tyrannen Baschar al-Assad durch den Kopf gingen, aber natürlich schon seit dem 7. Oktober 2023 die tägliche Zeitungslektüre begleiten.
Die "Geschichte des Islam" von Gudrun Krämer in einer völlig neu bearbeiteten Fassung kommt da gerade recht. Krämer gilt als Deutschlands renommierteste Islamwissenschaftlerin; bis zu ihrem Ruhestand war sie Professorin an der Freien Universität Berlin. Seit Langem kritisiert sie, dass die Deutschen ein einseitig negatives Bild vom Islam haben. Gerade Syrien blickt auf eine lange Geschichte des Zusammenlebens von Religionen zurück, mit Höhen und Tiefen.
Das Buch von Krämer habe ich von hinten nach vorne gelesen, also vom 20. Jahrhundert zurück bis in die Zeit des Religionsgründers Mohammed im 7. Jahrhundert. Islamismus ist in dieser langen Geschichte ein relativ junges Phänomen: Islamisten treten als Verteidiger "des Eigenen" auf gegen "das Fremde", wofür ganz pauschal "der Westen" steht. Dieser Westen wiederum hatte sich seit dem Imperialismus des 19. Jahrhunderts aus einer Haltung zivilisatorischer Überlegenheit, des Sendungsbewusstseins, Rassismus und Sozialdarwinismus weltweit seine kolonialen Einflusssphären gesichert. Und damit den geographisch riesigen Raum des osmanischen Reiches radikal verändert, das seit 1500 mit einer florierenden Wirtschaft, einer wachsenden Bevölkerung und einer relativ starken Zentralregierung ein mehr oder weniger stabiles Selbstbewusstsein gebildet hatte.
Die Lektüre des gut 1500 Jahre umspannenden Buches von Krämer kontrastiert die täglichen Meldungen von Gewalt, Krieg und Hass aus dem Nahen Osten mit der "longue durée" einer großen Kultur. Die Autorin schildert die Geschichte nüchtern und enthält sich moralischer Urteile.
In meiner dritten Empfehlung geht es um Kreativität. Als kreativ bezeichnen die meisten Menschen jemanden, der besonders künstlerisch begabt ist: Maler, Musiker, Künstler. Das ist aber nicht alles, schreibt der Hirnforscher Martin Korte in einem Buch mit dem Titel "Gute Idee", das er zusammen mit der Journalistin Gaby Miketta geschrieben hat. Kreativität ist zentral für Wachstum, Wohlstand und wirtschaftlichen Fortschritt. Es geht um schnelles Umdenken, darum, intelligente Alternativen finden, aus Fehlern ungewöhnliche Schlüsse ziehen und Altes hinter sich lassen zu können. Die Kraft der "kreativen Zerstörung" ist der Treiber wirtschaftlicher Entwicklung, eine Einsicht, die wir dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter verdanken.
Die These des Buches: Kreativität ist keine angeborene Fähigkeit, sondern lässt sich lernen. Die Stärke des Buches: Es erklärt nicht nur, was das Gehirn macht, wenn es kreativ ist. Sondern liefert Kreativitätstechniken für jedermann als Alltagstraining für das Gehirn. Und Strategien, wie Wirtschaft und Gesellschaft kreativer werden können.
Beispiele gefällig? Gruppenarbeit ist gefährlich und birgt die Gefahr von zu viel Konformität. Das ist schlecht für die Kreativität. Deshalb der Aufruf: Arbeite besser allein! Zumindest für den Anfang. Lasse deine Tagträume zu, damit das Denken freier werden kann. Anschließend kann man sich in einer Gruppe treffen. Dort soll jeder erst einmal seine Ideen vorstellen, ohne dass diese von den anderen zensiert werden. Auch Hierarchien sind für kreative Prozesse eher schädlich. Das klingt nach einem üblichen Ratgeberbuch. Ein Ratgeberbuch ist es schon, aber ein außerordentlich kluges.
Andrew Leigh: The Shortest History of Economics. Old Street Publishing 2024.
Gudrun Krämer: Geschichte des Islam. Vollständig überarbeitete Auflage. C.H. Beck 2024.
Martin Korte/Gaby Miketta: Gute Idee! In sieben Schritten kreativ denken lernen. DVA 2024.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Geschichte des Islam" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.