Die Ich-Erzählerin Gyeongha, eine depressive junge Frau, die kaum ihr Bett verlässt, reist nach einem Anruf ihrer langjährigen Freundin Inseon zuliebe, die im Krankenhaus liegt, von Seoul zu deren Haus auf der Insel Jeju, um ihren Vogel Sama zu versorgen. Auf der beschwerliche Reise durch unwirtliches und winterliches Gebiet, die sie mit Flugzeug, Bus und zuletzt zu Fuß durch die Nacht unternimmt, überfallen sie eigene und erzählte Erinnerungen an das Jeju-Massaker 1948, über das bis heute nicht gesprochen werden darf. Auch Gyeonghas und Inseons Familien sind davon betroffen.
Sogar die Säuglinge?
Ja, weil es das Ziel war, sie alle auszurotten.
Wen auszulöschen?
Die Roten. (S.147)
Nach und nach enthüllt sich eine Geschichte des Grauens.
Meine Meinung:
Wenn ein Autor oder eine Autorin den Literaturnobelpreis erhält, muss sein bzw. ihr Werk nicht immer alltagstauglich sein. Das ist mir beim Lesen dieser Geschichte spontan in den Sinn gekommen.
Han Kang widersetzt sich dem Tabu, dieses Massaker zu verschweigen. Das finde ich zunächst einmal wichtig, obwohl es, wie es scheint, nicht ganz ungefährlich ist. Auch über die Opferzahlen, des von der Regierung als kommunistischer Aufstand deklarierte Massaker, gibt es widersprüchliche Angaben. Man nimmt an, dass zwischen 30.000 und 60.000 der rund 300.000 Einwohner der Insel ermordet worden ist. Dieses unbekannte Kapitel der südkoreanischen Geschichte ist in Han Kangs Roman verpackt, denn im Westen weiß man sehr wenig über Korea. Nordkorea ist wegen seines verhaltensauffälligen Diktators immer wieder in den Schlagzeilen, Südkorea, bislang eine scheinbar stabile wirtschaftliche Größe, erregt aktuell durch seine Turbulenzen in der Regierung Aufmerksamkeit. Aber, das tun andere Nationen auch.
Der Schreibstil ist, gemessen an der Tragödie des Massakers, fast zu poetisch und spricht mich persönlich nicht ganz an. Manches ähnelt den Erinnerungen von Überlebenden der Shoa. Nicht immer kann ich unterscheiden, was Traum(a) oder Wirklichkeit der beiden Protagonistinnen ist.
Fazit:
Die Idee, die Geschichte rund um die beiden Frauen, deren Familien Überlebende des Massakers von Jeju sind, ist grundsätzlich interessant. Die Umsetzung hat mir nicht ganz so gut gefallen, daher nur 3 Sterne.