Witzig, manchmal aberwitzig. Amüsant und menschenfreundlich. Auch die merkwürdigsten Gestalten kriegen noch ein Sympathiepunkterl mit.
Im Mittelpunkt steht ein schiefer Wiener Wohnturm mit vielen Sozialwohnungen, der Kratzer. Der Boden hat sich gesenkt, weil nebendran die Tiefgarage für das futuristische Luxusbauprojekt der Nullzone ausgehoben wird. Das alte Hochhaus soll der teuren neuen Waben-Immobilie aus dem 3D-Drucker weichen. Außer der Baugrube und dem Wohnturm gibt es in dem Stadtentwicklungsgebiet nur noch einen Supermarkt (inklusive Sozialmarkt für die Kratzer-Bewohner) sehr zukunftweisend. Dort wird jeden Tag billiges Gemüse in ein künstliches Feld gesteckt. Zum Selberpflücken für das gute Gefühl. So natürlich wie die KI-Wohnwaben mit "Empathic Technology", die das "Narrativ des Wohnens neu [schreiben]"!
Erzählt wird das mitunter hochkomische Trauerspiel aus drei Perspektiven: Da ist zunächst der Zukunftsforscher und Fernsehphilosoph Gabor. Dem attestiert die Ärztin zu viel viszerales Fett und noch andere beunruhigende Werte. Er gerät nicht nur wegen seiner schwindenden Lebenserwartung in eine heftige Krise. Seine Frau will partout die schöne Altbauwohnung in der Stadt aufgeben und in eine Wabe in der Nullzone ziehen. Er, ein Übriggebliebener aus dem letzten Jahrhundert und Liebhaber der Vergangenheit in der Zukunft (Futur II), eigentlich gar nicht. Nulllinie in der Nullzone? Lieber wegbeamen zur Zen-Meditation.
Die Hausmeisterin im Hochhaus, Elfi, lebt in der Gegenwart. Müll, Rattenbeseitigung, Waschmünzenverwaltung, nächtliche Ruhestörungen. Die Vergangenheit will sie mit Tabletten fern von sich zu halten. Und die Zukunft, die Räumung ihrer Wohnung, den Abriss des Kratzers versucht sie gegen jede Wahrscheinlichkeit zu verhindern.
Der dritte Protagonist, Rachid, widerwillig wieder in Mutters Wohnung im Kratzer eingezogen, ist routinierter Paketzusteller:
"EMPFÄNGER NICHT ANGETROFFEN
PAKET NICHT ANGENOMMEN
ZUSTELLVERSUCH ERFOLGLOS
EMPFÄNGER VERZOGEN
'Na, was sollen wir nehmen? Ene mene muh.'"
Er träumt von einer Zukunft als Drohnenzustellunternehmer und von einer Kleinfamilie mit seiner Ex.
Alle drei Protagonisten sind gefangen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Verbunden in der Nullzone. Isabella Straub hat den dreien eine Stimme gegeben, jedem eine eigene. Die von Rachid ist manchmal zum Schreien komisch (wobei ich mir nicht sicher bin, ob ein Angehöriger der Generation Z sie nicht doch ein wenig cringe finden würde).
An der Oberfläche ein satirischer Roman über Stadtentwicklung, Gentrifizierung und den falschen Schein der Geschäftswelt mitsamt ihren "Teebeutel-Sinnsprüchen", unten drunter aber ein Buch über Lebensträume, über die Frage, wie man leben soll, wenn man den Witwenexpress zum Friedhof nicht als wiederkehrenden Höhepunkt seines Alltags ansehen will.
Zum Lesen und Lachen.
(Als gebundenes Buch gelesen.)