Für viele Menschen ist Jaap Hollander lange Zeit so etwas wie die letzte Hoffnung gewesen: Ein Gehirnchirurg, der weltweit zu den Koryphäen gezählt werden, die sich auch an schwierigste Operationen heranwagen. Auch Jaap lebt in einer Hoffnung, die zunehmends vergeblich scheint: Er möchte seine seit zehn Jahren vermisste Tochter wiederfinden, die vor zehn Jahren während einer Birthright-Reise mit einem jungen Amerikaner im Krater im israelischen Mitzpe Ramon spurlos verschwand. Jaap ist der Protagonist in Leon de Winters neuem Roman "Stadt der Hunde", in dem es um Hoffnung und Verlust, Identität und Illusion, Phantastisches und allzu Realistisches geht.Seit der Vermisstenmeldung ist nichts mehr wie zuvor, die ohnehin nur routinemäßige Ehe ist mittlerweile Geschichte. Jedes Jahr fliegt Jaap nach Israel, sucht den Krater auf, versucht, neue Spuren zu finden. Es ist eine Reise in das Land, in dem seine Tochter ihre jüdischen Wurzeln suchte, während Jaap, der Sohn von Holocaust-Überlebenden, sich längst von seinem Glauben abgewandt hat und nicht viel mit jüdischer Identität am Hut hat.Zehn Jahre nach dem Verschwinden, Jaap ist mittlerweile pensioniert und füllt die Leere in seinem Leben mit eigenhändigen Renovierungsarbeiten in seinem viele zu großen Haus aus, erreicht ihn während des jährlichen Besuchs in Mitzpe Ramon unter großer Geheimhaltung eine Bitte der israelischen Regierung: Er soll eine Operation bei einer jungen Patientin vornehmen, die bereits alle führenden Gehirnchirurgen als aussichtslos abgelehnt haben.Das alleine wäre schon eine enorme Herausforderung, doch die 17-jährige Patientin ist nicht irgendwer, sondern eine Prinzessin aus dem saudischen Herrscherhaus. Auf ihr ruhen Hoffnungen für eine behutsame Modernisierung des Landes, womöglich gar Frieden in Nahost? Jaap ist sicher, sollte er versagen - und eigentlich kann die Operation nicht gelingen - wird der Zorn des Vaters tödliche Folgen haben. Dennoch sagt er zu.Zugleich verschiebt sich die Handlung auf eine ganz neue Ebene. Ein streunender Wüstenhund, dem Jaap. der Hunde eigentlich nicht leiden kann, folgt ihm nach Tel Aviv, wo Jaap immer öfter darüber nachdenkt, sich dauerhaft niederzulassen. Der Hund spricht, verspricht ihn zur Tochter zu führen und warnt vor einer tödlichen Reise. Was ist Realität, was Illusion? Kann Jaap den eigenen Beobachtungen noch trauen? Entdeckt er gar seine jüdische Identität wieder, während er das Leben am Rothschild-Boulevard zwischen grünen Alleen und Bauhausarchitektur beobachtet? Ein wenig ist "Stadt der Hunde" auch eine Liebeserklärung an Tel Aviv und der Lebensfreude seiner Einwohner*innen.Beklemmend wird der Realitätsbezug, als Jaap vor einer neuen Reise nach Mitzpe Ramon beschließt, noch einen Abstecher zu einem Musikfestival in der Wüste zu machen, von dem ihm junge Israelis erzählt haben. Am Ende des Buches bricht er wieder auf in den Süden. Es ist der 6. Oktober 2023.de Winter lässt seine Leser im Ungewissen - die Interpretation des Ausgangs bleibt ihnen überlassen. Der Wucht des Buches tut dies keinen Abbruch.