Parade erzählt von einem Leben, das viele andere Leben enthält - von Weiblichkeit, Kunst und Macht, Familie und Freiheit, und davon, woraus wir uns immer wieder aufs Neue erfinden. Rachel Cusk stellt Sprache und Denken auf den Kopf und zeigt uns die Welt, wie sie wirklich ist.
Rachel Cusk setzt ein erzählerisches Karussell in Gang und erzählt uns frappierende Episoden, die sich an den entscheidenden Punkten kreuzen und überlagern.
Plötzlich malt G verkehrt herum. Die eigene Frau zum Beispiel. Dabei macht er sie hässlich. Die Bilder werden ein Riesenerfolg.
In Paris wird eine Frau auf offener Straße von einer Unbekannten attackiert. Die Angreiferin, bevor sie flieht, dreht sich um, ihr Opfer zu betrachten, wie eine Künstlerin, die vor ihrer Leinwand steht.
Eine Mutter stirbt, und die Kinder müssen sich mit ihrem Erbe arrangieren: mit den Geschichten, die sie erzählte, den Rollen, die sie ihnen zuwies, mit der Art, wie sie ihnen ihre Liebe vorenthielt. Ist der Tod eine Art Freiheit?
Besprechung vom 17.01.2025
Getragen vom Gestus des Es-geht-nicht-mehr
In erzählerischen Konstellationen: Rachel Cusks Romans "Parade" ergründet die Beziehung von Geschlecht und Familie, Kunst und Macht
Er sei doch einmal so modern gewesen, warum er jetzt ins vergangene Jahrhundert zurückfalle - diese Frage legt Rachel Cusk in einer Nebenszene ihres neuen Romans einem Verleger in den Mund. Er bezieht sich auf einen Band mit "kleinen Fabeln für moderne Zeiten", die ihm einer seiner Autoren zur Begutachtung vorgelegt hat. Rätselnd und genervt lehnt der Verleger das Buch ab: "Was ist los mit Ihnen?"
Es scheint, als habe die Autorin von "Parade" damit vorweggenommen, was man bei der Lektüre ihres eigenen Buches denken könnte. Denn ein wenig fühlt man sich bei der Lektüre schon in geisteswissenschaftliche Institute oder Kunstakademien der Neunzigerjahre zurückversetzt, an die harte Sprache und den rigiden Gestus der Dekonstruktion, der Gendertheorie und Diskursanalyse: "Die von der Scham produzierten Narrative waren für gewöhnliche Fabrikationen der Vorstellungskraft, die in Fantasy oder Pornografie resultierten." So technisch Sätze wie diese in ihrem akademischen Nominalstil wirken, so nostalgisch wirken sie auf jene, die vor zwanzig, dreißig Jahren ein Studium der Philosophie oder Kunstwissenschaft absolviert haben. Für sie ist der Roman unweigerlich auch das: eine throwback novel.
Um kein Missverständnisse aufkommen zu lassen: Weder will Rachel Cusk auf eine solche Lektüre bewusst hinaus (im Gegensatz etwa zu Jeffrey Eugenides mit seinem Semiotik- und Campus-Roman "The Marriage Plot" von 2011), noch schert sie sich darum, mit ihrem Buch die traditionellen Erwartungen an einen Roman zu erfüllen. Ohne eine übergreifende Handlung, ohne Figurenentwicklung und Spannungsaufbau umkreist "Parade" in vier erzählerischen Konstellationen die Frage nach den Beziehungen von Weiblichkeit und Kunst, Familie und Macht. Ein Antiroman, der auf Grundsätzlichstes hinauswill, und das auf nicht einmal 200 Seiten.
Auch wenn das Personal in den einzelnen Kapiteln wechselt, tritt die jeweilige Künstlerfigur - die nicht immer, aber meistens eine Frau ist, uns dazu mal als Mutter, mal als Ehefrau, mitunter als Kind im Text begegnet - stets unter derselben Abkürzung auf: "G". Vielleicht ist es eine Reverenz an Kafkas "Schloss" mit seinem Protagonisten "K", was insofern passend wäre, als Cusks Protagonisten ebenfalls undurchdringbaren Strukturen der Fremdbestimmung ausgesetzt sind, auch wenn diese in ihrem Fall weniger auf eine anonym bleibende Bürokratie als auf die Geschlechterordnung zurückzuführen ist, auf innere und äußere Rollenerwartungen. Eine der Frauen opfert ihre eigene Kreativität zugunsten der Karriere ihres Mannes. Eine andere denkt über das schmerzhaft-schwierige Verhältnis von mütterlicher Care-Arbeit und künstlerischem Schaffen nach.
Überhaupt ist "Parade" ein Buch voller Anspielungen. Gleich zu Beginn taucht ein Maler auf, der sich dazu entschließt, seine Bilder künftig umgedreht zu hängen, "als Mittel, die Gewalt aufzulösen und das Prinzip der Ganzheitlichkeit wieder herzustellen". Der Bezug auf die Kopfstand-Bilder von Georg Baselitz liegt auf der Hand. An anderer Stelle wird kaum verdeckt auf Piero Manzonis "Merda d'artista" und zugleich auf Sigmunds Freuds Theorem der "analen Phase" verwiesen: Eine Museumsdirektorin stellt die These in den Raum, dass künstlerische Menschen ähnlich wie Kleinkinder "stolz auf ihre Scheiße" sind.
Wenn es etwas gibt, das diese und noch viele weitere Zitate und Rekurse zusammenhält, dann ist es die Ablehnung einer "schönen" Kunst im traditionellen Sinne, ihrer Medien und Institutionen. An ihre Stelle tritt eine Ästhetik der Negation, wie sie von Theodor W. Adorno theoretisch ausbuchstabiert wurde. Das "vergangene Jahrhundert", von dem Cusks Verlegerfigur gegenüber seinem Autor spricht - im ästhetischen Gestus des Es-geht-nicht-mehr -, von dem "Parade" getragen ist, kommt es am greifbarsten zum Ausdruck, im Sujet des Romans ebenso wie in seiner widerständigen Form.
Cusks Roman provoziert zwei Jas und ein Nein. Erstes Ja: Im Lichte der formal oft wenig ambitionierten Bücher, die in den vergangenen Jahren die höchsten literarischen Auszeichnungen erhalten haben, gerade in der englischsprachigen Welt, ist ein Künstlerroman, in dem auf derart hohem Niveau über Fragen der Ästhetik nachgedacht wird, selbstreflexiv und metafiktional, ohne Vorbehalt zu begrüßen. Zweites Ja: Angesichts des schockierenden kulturpolitischen Rückschlags, den man derzeit in der Öffentlichkeit und Politik erlebt (die AfD will auf ein Verbot der Gender Studies hinaus, auf der Plattform X, Elons Musks Jauchegrube, sind misogyne und chauvinistische Posts allgegenwärtig), ist ein Buch wie "Parade" mit seinen kritischen Geschlechterreflexionen von unerwarteter Dringlichkeit.
Das verbliebene Nein wiegt dennoch recht schwer. "Parade" bleibt ästhetisch in einem Rahmen gefangen, der längst abgesteckt und durchschritten erscheint. Die literarische Sprache unserer Zeit, wie auch immer sie aussehen könnte, spricht dieses Buch jedenfalls nicht. Ein zu hoher Anspruch? Wer frühere Romane und Essays der Autorin kennt (die wagemutige "Outline"-Trilogie etwa oder den zwischen und Essay und Memoir schwebenden Band "A Life's Work. On Becoming a Mother"), vermisst den nachdrücklichen Erneuerungswillen, der sie zu einer der wichtigsten Stimmen der internationalen Gegenwartsliteratur gemacht hat. Es ist dieser von ihr selbst gesetzte Maßstab, hinter dem sie in ihrem aktuellen Prosaband zurückbleibt. KAI SINA
Rachel Cusk: "Parade".
Roman.
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
171 S., geb.
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