2023 sorgte ein Prozess in München für großes öffentliches Aufsehen. Eine deutsche Islamistin wurde schuldig gesprochen, den Tod eines 5jährigen jesidischen Mädchens, mit ihrer Mutter verschleppt und versklavt, bewusst in Kauf genommen zu haben. Mit dem Prozess und dem Schuldspruch rückte die grausame Verfolgung der Jesiden, einer kurdischen Minderheit, durch das IS-Kalifat in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit.
Die Autorin ist in Deutschland aufgewachsen als Tochter eines jesidischen Vaters, der aber ein sog. Abtrünniger ist, weil er sich aus den strengen, fast archaischen und reformfeindlichen Konventionen dieser Glaubensgemeinschaft gelöst hat. Die Identifikation mit dem Jesidentum ist der Autorin selber auch unerklärbar: Ich bin es, und ich bin es nicht, sagt sie.
Ein Fernsehbericht über den Genozid im August rüttelt sie auf. Sie recherchiert von Deutschland aus, und sie reist schließlich in die unruhigen kurdischen Grenzgebiete in Syrien, dem Irak und der Türkei. Sie trifft Flüchtlinge, sie besucht zerstörte Dörfer, Massengräber, Museen, sie fotografiert und dokumentiert minutiös auch kleinste Beobachtungen. Sie besucht aber auch die Rückkehrer, die nach dem Sieg der kurdischen Truppen auch den Jesiden die Rückkehr ermöglichten. Vor allem aber besucht sie die weitläufige Familie ihres Vaters, bei denen sie immer wieder als Kind ihre Sommerferien verbracht hat, und dokumentiert ihre Vertreibungsgeschichte. Mit ihren Erinnerungen ergänzt sie ihre Recherche-Ergebnisse. Hier macht sie jedoch eine Entdeckung, die aber nur kurz anklingt: Auch ihre Familie ist der Nutznießer eines anderen Genozids, von dem niemand mehr spricht, nämlich des Genozids an den Armeniern.
Das Buch bietet keine durchgängige Erzählung, sondern besteht eher aus Fragmenten, die die Autorin montiert. Mit diesen Fragmenten und der punktuellen Darstellung von Einzelschicksalen fügt sich der Leser ein Bild zusammen von den Grausamkeiten, denen die Jesiden unter der IS-Besatzung ausgesetzt waren. Zu Recht weist die Autorin darauf hin, dass der Schrecken noch nicht beendet ist und in syrischen Lagern noch viele verschleppte und versklavte Frauen vermutet werden.
Der Autorin ist das Problem der sprachlichen Gestaltung ihrer Fragmente sehr wohl bewusst. Sehr häufig überlegt sie, wie sie das Unfassbare beschreiben bzw. erzählen soll. Sie entscheidet sich für einen fragmentarischen, abgehackten Stil, mit vielen wortwörtlichen Wiederholungen, bei denen vor allem die in Endlosschleife wiederkehrenden Anaphern zunehmend meine Geduld strapazierten. Ebenso strapaziös fand ich die langwierigen Aufzählungen von Objekten, denen keine weitere Bedeutung zukam.
Interessanter fand ich dagegen ihre poetologischen Überlegungen. Die Autorin beobachtet sich selber und erkennt ihre steigende Identifizierung mit dem Jesidentum, um aber gleichzeitig wieder von dessen archaischen Konventionen (Ablehnung von Bildung, Schriftlichkeit und Selbstbestimmung, Kastenwesen etc.) abgeschreckt zu werden.
Das Buch ist ohne Zweifel wichtig. Als Roman hat es mich aber nicht überzeugt.