Mein Lese-Eindruck:
Zwei ungleiche Brüder stehen im Mittelpunkt. Peter, der Ältere, 32 Jahre, ist ein erfolgreicher Anwalt, liebt Frauen, Alkohol, Tabletten und Drogen und Ivan, 10 Jahre jünger, ein introvertierter Nerd, der nach Abschluss seines Studiums von kleineren Jobs lebt und sich dem professionellen Schachspiel verschrieben hat. Die einzelnen Kapitel nehmen abwechselnd die jeweilige Perspektive ein. Und je nach Perspektive unterscheidet sich auch die Erzählweise.
Die Erzählweise ist es auch, die dem Leser Hürden aufbaut. Rooney schreibt abgehackt und wie atemlos: kurze Sätze, Satztrümmer, Auslassungen, kurze Einwürfe. Sie verzichtet auf Anführungszeichen, sodass sich der Leser immer wieder rückversichern muss, wer nun spricht bzw. ob überhaupt jemand spricht oder der Text nicht wieder in den endlos fließenden Gedankenstrom übergegangen ist. Diese Erzählweise wird in den Peter-Kapiteln auf die Spitze getrieben, während die Ivan-Kapitel um einiges ruhiger erzählt werden.
Hat man sich durch die ersten Kapitel durchgekämpft, entfaltet der Text einen ganz besonderen Sog. Die beiden unterschiedlichen Brüder kämpfen beide mit dem kürzlichen Tod des Vaters, der sie jedoch nicht näherbringt, sondern eher noch weiter entzweit. Beide sind zudem in belastete Beziehungen verstrickt. Rooney folgt minutiös ihren alltäglichen Kleinigkeiten und ihren Gedankengängen, und immer deutlicher wird, wie verletzt jede ihrer Figuren ist. Ein dichtes Psychogramm entsteht, fein gewebt, sprachlich teils schwierig, aber sehr eindrücklich.
Und noch eines wird zunehmend klarer: wie unsicher und entfremdet alle Figuren im zwischenmenschlichen Bereich sind. Sie stellen sich zwar alle über gesellschaftliche Konventionen, aber sie sind emotional vereinsamt und unsicher. Ständig wird das eigene Verhalten und auch das der anderen hinterfragt; jeder reflektiert in nicht endenden Gedankenströmen. Ebenso häufig werden Entschuldigungen vorgebracht und Rückversicherungen vom anderen erbeten. Dahinter steckt der große Wunsch nach Harmonie oder zumindest nach einer emotionalen Gemeinsamkeit mit dem anderen, die jedoch so fragil ist, dass sie ständig beschworen werden muss.
Hier zeigt Rooney eine erstaunlich scharfe Beobachtungsgabe, und es gibt dem Buch einen besonderen Strich, dass sie auch das Thema des Vergebens streift.