"Ein Start-up-Unternehmen ist eine Unternehmensgründung mit einer innovativen Geschäftsidee und hohem Wachstumspotenzial", heißt es in einem bekannten Online-Nachschlagewerk. Sieht man sich Fernsehberichte über deutsche Start-up-Unternehmen an, dann ist man als Kenner der wertschöpfenden Industrie schon leicht verwirrt. Junge Leute sitzen in einem großen Raum vor ihren Bildschirmen, andere spielen Kicker, wieder andere quatschen oder beschäftigen sich gerade mit ihrer Ernährung. So ein Bild findet auch auf dem Cover dieses Buches. Soll das die produktive Atmosphäre widerspiegeln, in der kreative junge Köpfe neue Produkte erfinden, die uns alle glücklich machen? Mit ein wenig Lebenserfahrung merkt man schnell, dass man hier veralbert wird.Veralbert wird man auch beim Untertitel dieses Buches, denn der Mensch mit dem Pseudonym Sam Gregson war keineswegs undercover unterwegs. Und sein Ziel war es, soweit man ihm glauben kann, auch nicht, ein solches Buch zu verfassen, als er von London nach Berlin zog und sich einen Job in einer dieser coolen Firmen suchte. Angeblich kam er in London nicht weiter und suchte eine neue Herausforderung, wie es immer so schön heißt. Und da schien ihm Berlin gerade richtig. Wenn das, was man in diesem Buch zu lesen bekommt, tatsächlich aus eigenem Erleben stammt, dann wird wohl Frust die Quelle sein, aus dem der Text entsprang. Und dieser Frust muss groß gewesen sein, denn das Buch ist unnötig lang. Und am Ende lernt der verdutzte Leser, dass Start-ups die Inkarnation des Bösen schlechthin sind.So wie es einen Sam Gregson nicht gibt, so findet man auch die beiden Firmen nicht, um die es in diesem Buch geht. Ebenso weiß man nicht, wie typisch das Ganze denn nun tatsächlich ist. Es beschreibt nämlich nicht die Szene, sondern nur zwei einzelne Unternehmen aus ihr. Einiges Wahres wird wohl an dieser Darstellung sein, denn wenn man sich beispielsweise einmal Folgen aus der "Höhle der Löwen" (VOX) oder des amerikanischen Äquivalents angesehen hat, dann weiß man, dass sich dort sehr oft Leute mit irgendeiner gelegentlich nicht besonders durchdachten Idee vorstellen, die jedoch von allem anderen, was ein Unternehmen ausmacht, keinen blassen Dunst haben, aber ganz groß durchstarten wollen.Banken geben für so etwas nicht immer einen Kredit, was diese Gründer zu Risikokapitalgebern treibt, die eine schnelle Rendite sehen wollen. Im Kauderwelsch dieser Leute heißt das Skalierung, also schnelles Wachstum. Die Produkte, um die es im Buch geht, werden nicht näher beschrieben. Irgendwelche Apps, die vorgeben, wichtige Probleme zu lösen, aber unausgereift sind. Sie müssen in hoher Stückzahl vertrieben werden, um überhaupt eine Rendite erzielen zu können. Glaubt man dem Autor, dann hatten beide Unternehmen aus diesem Buch eine enorme Anzahl an Mitarbeitern. Das funktioniert nur bei hohen Renditen und gleichzeitiger schlechter Bezahlung dieser Leute. Gesunde Unternehmen wachsen langsam und im Einklang mit ihren Gewinnen.Das Leitprinzip eines Start-ups, so liest man beim Autor, sei: "Schalte dein Gehirn aus, erledige geistlose Arbeit und erledige sie exakt so, wie dein Manager das haben will. Und das Allerwichtigste: Vertusche unter allen Umständen die fehlenden technischen Fähigkeiten des Unternehmens, indem du bei jeder Gelegenheit betonst, welch revolutionären Geniestreich das Produkt der Firma darstellt." Und so weiter und so fort. Diese pauschalen Anklagen wälzt der gute Sam nun auf ungefähr 250 Seiten breit und schmückt sie mit Beispielen, die seinen ganzen Frust dokumentieren. Danach weiß man Bescheid: Start-ups sind vor allem heiße Luft.Nun besitzt dieses Buch aber etwas mehr als 400 Seiten. Und es existiert leider keine Hoffnung auf einen Lichtblick. Im Gegenteil. Im Rest des Textes entdeckt Sam bei sich noch ungeahntes Steigerungspotential. Bei seinem zweiten Versuch in einem anderen Start-up wird es noch schlimmer. Überschrift: "Men's world". Jetzt bekommt es Sam mit allen Lastern des weißen Mannes zu tun, nämlich Sexismus, Homophobie und Rassismus. Ich erspare mir die Einzelheiten.Was soll man von diesem Buch halten? Ich habe wirklich keine Ahnung. Da arbeitet also jemand in zwei Start-ups und schreibt hinterher ein Buch, das von pauschalen Behauptungen und Vorwürfen nur so strotzt. Überprüfen kann man das alles nicht. Allerdings kommen die Einschläge mit einer solchen Beharrlichkeit und Heftigkeit, dass ich manchmal den Eindruck bekam, das Ganze ist einfach ausgedacht. So findet man beispielsweise in einer zitierten Aussage einer angeblichen Kollegin von Gregson Formulierungen aus dem vorausgegangenen Text, also von ihm, was schon ein wenig seltsam ist. Obendrein inszeniert sich der Autor als einsamer Kämpfer gegen das Böse, selbstverständlich in moralischer Selbstüberhöhung. Es mag ein schlechter Charakterzug von mir sein, aber ich werde bei so etwas schnell misstrauisch.Wie kann man aus dem persönlichen Erleben in zwei Berliner Start-ups solche allgemeinen Schlüsse ziehen? Das ist schon sehr seltsam und wenig glaubhaft. Im besten Fall stimmen seine Beschreibungen für diese beiden Unternehmen. Aber selbst da hört man eben nur seine Sicht der Dinge.Kurzum: ein zwielichtiges Buch, das vielleicht einen Teil dieser Szene beschreibt. Mehr aber nicht.