Dieses Buch gibt es in zwei Versionen: mit und ohne Farbschnitt. Sobald die Farbschnitt-Ausgabe ausverkauft ist, liefern wir die Ausgabe ohne Farbschnitt aus.
»Ich habe das Geheimnis der drei Bilder entschlüsselt. Welches Leid du ertragen musstest, kann ich nicht ermessen. Wie schwer die Schuld wiegt, die du auf dich geladen hast, ist mir nicht klar. Ich kann dir nicht vergeben. Doch ich werde dich immer lieben. «
Ein bewegender Blogeintrag mit Zeichnungen, die viele Rätsel aufgeben. Eine Kinderzeichnung mit einem seltsamen Haus darauf. Die letzten Skizzen eines Zeichenlehrers, der unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist. Hängen alle diese Bilder zusammen? Zumal immer wieder Menschen sterben, die mit ihnen zu tun haben? Zwei Journalisten kommen dem Geheimnis auf die Spur. Kurz darauf ist einer von ihnen tot. . .
Besprechung vom 07.04.2025
Was das Papier verrät
Uketsu ist der berühmteste Unbekannte Japans, seine Romane sind Bestseller. Das erste ins Deutsche übersetzte Buch macht deutlich, warum das so ist.
Eine Person, die der Öffentlichkeit als schwarz gekleidetes Strichmännchen mit Fistelstimme und weißer Pappmaché-Maske bekannt ist, deren kreisrunde Aussparungen für Augen und Mund ihr einen permanent erstaunten Ausdruck verleihen, hat drei der fünf in Japan bestverkauften Romane des Jahres 2024 geschrieben. Uketsu, dessen Künstlername sich aus den Schriftzeichen für Regen und Loch zusammensetzt, schickt sich an, jetzt auch zum internationalen Phänomen zu werden.
Mehr als 1,7 Millionen Abonnenten versammelt der Youtube-Kanal, auf dem er vor sechs Jahren begann, scheinbar surrealen Wachträumen entsprungene Videos hochzuladen. Aus einem dieser Clips, der sich um die Anomalien im Grundriss eines leer stehenden Einfamilienhauses dreht, entwickelte er 2021 seinen ersten Kriminalroman. Nun erscheint die erste deutschsprachige Uketsu-Übersetzung; nicht des Debüts, sondern des Nachfolgers. Die vier Kapitel in "Hen Na E - Seltsame Bilder" lesen sich zunächst, als handele es sich dabei um für sich stehende Kurzgeschichten: Zwei Studenten grübeln über einem mysteriösen Blog, den ein Mann über seine schwangere Frau schreibt und aus dem nachträglich Einträge gelöscht wurden.
Eine Mutter versucht die Zeichnung ihres verschwundenen Sohnes zu entschlüsseln, ein junger Journalist ist fasziniert vom Fall seines ermordeten Kunstlehrers, der am Tatort eine unbeholfene Kritzelei hinterließ, und zuletzt ist da die Odyssee einer Frau, die als junges Mädchen ihre eigene Mutter tötete. Wie die Einzelteile der Geschichte zusammenpassen? Der Titel lässt es schon vermuten: Bilder sind ein integraler Bestandteil der Lösung dieses Rätsels.
Kinderzeichnungen und elaborierte Skizzen fügen sich in den Text ein, dazu kommen Grundrisse, Lagepläne, Screenshots oder Grafiken zur Visualisierung zeitlicher Abläufe. Angesichts Uketsus aufgeräumten, gelegentlich zum Repetitiven neigenden Schreibstils sind Letztere zum Verständnis der Handlung vielleicht nicht zwingend notwendig, aber so erwecken sie den Eindruck einer Einfachheit, von der man sich keinesfalls täuschen lassen sollte. Indem der Autor auf eine zentrale Ermittlerfigur verzichtet, lässt er seine Leser selbst zu Forschenden werden, die die Motive der handelnden Figuren ergründen, die Punkte, an denen sich individuelles und gesellschaftliches Versagen überkreuzen.
Die Suche nach Antworten führt bei Uketsu über den Umweg der Bildanalyse. Manchmal sind es psychologische Interpretationen vor allem der kindlichen Kunstwerke, entscheidend ist in "Hen Na E - Seltsame Bilder" aber in erster Linie der handwerkliche Prozess: Das Material, auf dem jemand eine Zeichnung anfertigt, und das verwendete Werkzeug, die Reihenfolge seiner Arbeitsschritte lassen verblüffende Rückschlüsse auf seine Intentionen zu, auf die Umstände der Entstehung. Wachsmalstifte lassen sich anders als Bleistifte nicht ausradieren. Raster, die eine Leinwand in Reihen gleich großer Rechtecke unterteilen, helfen Menschen mit Sehbehinderung, sich zu orientieren. Ist einmal kein Papier zur Hand, tun es auch Kassenzettel und Kugelschreiber. Wem es gelingt, die Sprache der Bilder zu entziffern, der dringt so auch tief in die Köpfe der Täter, Opfer und aller dazwischen und außerhalb vor, in die Untiefen einer Geschichte, in der hoher gesellschaftlicher Druck und lebenslang ignorierte Kindheitstraumata, die Herausforderungen der Mutterschaft und häusliche Gewalt eine Atmosphäre allgegenwärtiger Brutalität erzeugen, auch ohne dass der Autor sie in blutigen Exzessen ausschmücken muss.
Gerade im Entstehungskontext eines Landes wie Japan, in dem die Auseinandersetzung mit psychischer Gesundheit trotz hoher Selbstmordraten noch immer stark stigmatisiert ist, kommt Uketsus Ansatz, diese Tabuthemen in einem fesselnden Bilderrätsel zu verstecken, regelrecht subversiv daher. Der Roman ist im Zeitraum von 1992 bis 2015 angesiedelt, die Figuren gehören mehrheitlich der sogenannten Verlorenen Generation an, die es nach dem Kollaps der Bubble Economy Anfang der Neunzigerjahre schwer hatte, sich in Japans stagnierender Wirtschaft und restriktiver Arbeitswelt zu behaupten.
Entwirft Uketsu einen Angestellten, der in seinem Unternehmen kaum eine Chance auf die Karriere seiner Träume hat, eine junge Frau, die sich nicht traut, die Stimme gegen ihre Familie zu erheben, oder einen Journalisten, der für westliche Gewohnheiten durchaus zurückhaltend die Schwerfälligkeit des Polizeiapparats kritisiert, dann schwingt darin immer auch der innere Widerstreit einer Gesellschaft mit, deren starre Hierarchien und kulturelle Gebote nicht mehr allen Bedürfnissen und Anforderungen der heutigen Zeit gerecht werden.
Im Kern ist der Roman die Geschichte eines bizarr eskalierenden Generationenkonflikts und Uketsu ihr selbstermächtigter Vermittler. Seine Aufmachung ist inspiriert von den Kuroko, Bühnenhelfern im klassischen japanischen Theater. Komplett in Schwarz gekleidet und maskiert, gelten sie als unsichtbar, nicht zur Inszenierung gehörig, auch wenn sie für deren Gelingen unverzichtbar sind, auf der Bühne Kulissen bewegen, mit Requisiten hantieren, bei Kostümwechseln assistieren. Der anonyme Autor findet in dieser Nicht-Rolle das Schlupfloch im Gesellschaftsvertrag, ist nicht nur ein Selbstvermarktungsgenie, sondern auch Kunstpädagoge, Soziologe und Psychologe, vor allem aber: ein überaus gewiefter Erzähler. KATRIN DOERKSEN
Uketsu: "Hen Na E -
Seltsame Bilder". Kriminalroman.
Aus dem Japanischen von Heike Patzschke.
Lübbe Verlag, Köln 2025. 272 S., geb.,
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