Wie wäre wohl das Leben der Hauptfigur Kasper Wettner verlaufen, wenn er nach dem plötzlichen Tod seiner Frau nicht ein autobiografisches Manuskript von ihr entdeckt hätte? Er hätte nie erfahren, was sie durchgemacht hatte, als sie 1965 von der DDR zu Kasper in den Westen floh. Und vor allem, dass sie zuvor ein Kind zur Welt gebracht hat.Der 70-jährige Buchhändler macht sich auf die Suche, findet Svenja in einer völkischen Siedlung und lernt ihre 14-jährige Tochter Sigrun kennen. Die Beziehung, die zwischen Kasper und Sigrun entsteht, zählt zu den bewegendsten Geschichten, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Kasper führt seine "Enkelin" in die Welt der klassischen Musik ein, lässt sie Klavierunterricht nehmen und liest und diskutiert Bücher mit ihr. Trotz der Annäherung gibt es ein schwer überwindbares Hindernis: Sigruns fremdenfeindliches Weltbild und die völkische Erziehung ihrer Eltern, die in Kasper eine Bedrohung sehen.Mich hat tief bewegt, wie Kasper mit sich hadert. Er hat seine Enkelin lieb gewonnen und möchte ihr all die Möglichkeiten für ein erfülltes Leben aufzeigen. Andererseits fürchtet er, sich zu sehr einzumischen und sie zu vergraulen. Auch seine plötzlichen Gefühlsausbrüche, wenn ein gemeinsames Erlebnis Kasper an seine verstorbene Frau erinnert, wenn Sigruns Verhalten ihn entweder rührt oder außer Fassung bringt, sind starke Momente. Wie Kasper in den Bemühungen um seine Enkelin seine eigenen Grenzen erkennen muss und die Konfrontation zwischen den gegensätzlichen Ideologien erzählt Bernhard Schlink einfühlsam und aufrüttelnd.