Sprache war und ist nirgends und zu keiner Zeit ein unpolitisches Gehege, denn sie läßt sich von dem, was einer mit dem anderen tut, nicht trennen. Sie lebt immer im Einzelfall, man muß ihr jedesmal aufs neue ablauschen, was sie im Sinn hat. In dieser Unzertrennlichkeit vom Tun wird sie legitim oder inakzeptabel, schön oder häßlich, man kann auch sagen: gut oder böse. In jeder Sprache, das heißt in jeder Art des Sprechens sitzen andere Augen.- S. 39Im letzten Jahr habe ich Müllers 'Atemschaukel' gelesen, für das sie den Nobelpreis für Literatur erhielt. Da mich der Roman auf längere Sicht nicht losließ, wollte ich gern ein weiteres Werk von ihr lesen. Es ist diese Essay-Sammlung geworden, da mich der Titel enorm ansprach. Einen solchen Titel zu entwerfen, beinhaltet für mich bereits viel Überzeugendes.Müller schrieb hierfür biografische Essays, die Episoden ihres Lebens betrachten und immer wieder zwischen der einen Vergangenheit zu einer anderen wechseln.Sie berichtet von ihrer Kindheit in Rumänien. Sie wuchs dort in einem schwäbischen Dorf auf zur Zeit der Diktatur. Sie berichtet von ihren Eltern und ihren Großeltern, die mit viel seelischem Gepäck auf dem II. Weltkrieg in das Dorf kamen. Sie berichtet dabei sehr intensiv, fast schon brutal. Dieses Erzählgut bestürzte mich bereits bei 'Atemschaukel'.Dann beschreibt sie ihre Zeit in der Stadt, wie sie stets beobachtet wurde, immer wieder verhört, wie ihre Wohnungen durchsucht wurden, wie sie betrogen wurde. Sie reist nach Berlin, lebt auch dort weiterhin in Angst.Ihre Beobachtungen sind messerscharf und man begreift, wie sie zu einer Autorin werden konnte, denn sie scheint ihr Umfeld beinahe zu observieren. Ob es die Pflanzen sind oder eine Werbetafel.Dabei berichtet sie auch immer wieder von der Sprache. Wie ihre Sprache mit der Sprach in Berlin aufeinanderstießen, obwohl es doch eigentlich die selbe Sprache sein sollte. Wie sie eigene Begriffe erfand, weil die benannten Objekte durch den Namen nicht richtig bekleidet wurden.Auch berichtet sie davon, dass sie sich über die Bezeichnung ihres 'fremden Blicks' ärgerte, der von der Literaturwissenschaft gelobt werden würde. Sie kann nichts dazu tun. Sie schreibt eben, doch viele andere haben jenen Blick ebenso, doch sie leben ihn anders aus.Das Werk geht tief und zeigt dabei nicht nur Herta Müllers Biografie, sondern auch die politischen Entwicklungen, die Prozeduren einer Diktatur, ihre Idee von Sprache, von Freundschaft, vom Leben.Müller gibt hier einen aufschlussreichen Blick in die Welt, den man sich bewusst machen sollte.