Nachdem ich mit sehr großer Begeisterung Anna Dimitrovas zweiten Roman People Pleaser (ganz, ganz große Leseempfehlung von mir!) gelesen habe, musste ich nun unbedingt auch noch ihren ersten Roman Kanak Kids - Halb angepasst und voll dazwischen lesen. Auch das war wieder ein großartiges Leseerlebnis!
In diesem Buch geht es um die sechzehnjährige Dessi. Sie führt ein Doppelleben: Im Münchner Brennpunktviertel Neuperlach ist sie mit Jogginghose und Alman-Jokes für ihre aus Bulgarien stammende Familie und ihre Freund*innen die coole Ausländerin, aber im Innenstadtgymnasium, wo sie auf Wunsch ihrer Mutter hingeht, ist sie Daisy: Mit blonde Perücke, blauen Kontaktlinsen, hippen Klamotten und perfektem Hochdeutsch. Ihre beiden Leben und Freund*innen hält sie streng voreinander geheim. So ist es eine tägliche Herausforderung für sie, überall dazuzugehören und sich anzupassen, um sich nicht angreifbar und verletzlich zu machen. Diese Taktik funktioniert auch ganz gut - bis sie jedoch eines Tages von Bo bei ihrer täglichen Verwandlung erwischt wird. Und so ein Pech: Bo ist nicht nur Dessis Nachbar in Neuperlach, sondern auch ihr neuer Mitschüler am Elitegymnasium - und damit der Einzige, der ihre beiden Persönlichkeiten kennt. Dessi muss ihn überzeugen, dichtzuhalten. Kann das klappen oder fliegt sie auf?
Ab hier beginnt die wirklich witzige und gleichzeitig kluge Geschichte erst so richtig.
Dabei schafft es Anna Dimitrova ganz wunderbar, so interessante und nicht gerade einfache Themen (Migration, Angepasstheit, kulturelle Unterschiede, Vorurteile und Klischees, Alltagsrassismus) in einen sehr unterhaltsam zu lesenden Roman mit viel Tiefgang und Humor zu verpacken. Die Jugendsprache ist anfangs vielleicht (für Erwachsene wie mich) etwas gewöhnungsbedürftig, passt aber hervorragend zum Buch und stört den Lesefluss in keinster Weise.
Die Charaktere sind alle sehr gut und authentisch dargestellt; besondes Dessi und Bo hatte ich gleich ins Herz g geschlossen, aber auch der Rest von Dessis Familie sowie Aylin, Chrissi, Ferdi, Ozan und alle anderen waren sehr passend getroffen.
Auch wenn ich People Pleaser sogar noch einen Ticken besser fand, gebe ich bei Kanak Kids ebenfalls mit gutem Gefühl 5 Sterne und eine ganz klare Leseempfehlung!
"Ich weiß, dass viele Leute mit Migrationshintergrund so einen "Scherz" mit einem kleinen Lächeln abtun. Man muss ja über sich selbst lachen können, sagen Sie. Aber müssen wir wirklich darüber lachen, dass wir jeden Tag mit Klischees von vor 50 Jahren konfrontiert werden?"
"Nice, ich dacht mir schon, dass du entspannt bist." - Ich zucke zusammen. Aus Erfahrung weiß ich, dass man "entspannt" ist, wenn man rassistische Witze über sich ergehen lässt. An Bos Körperhaltung erkenne ich, dass er meine Meinung teilt. Wir haben einen schnellen Blickaustausch, mit dem wir darüber debattieren, ob wir Max' Kommentar schleifen lassen sollen oder nicht. Am Ende beschließen wir, dass es sich nicht lohnt, mit ihm zu diskutieren. Er würde sowieso nichts an seinem Verhalten ändern."
"Vielleicht habe ich das Verstellen von meiner Mutter geerbt. Vielleicht ist dieser Anpassungsdrang aber auch etwas, das jede Frau, die im Patriarchat aufgewachsen ist, verspürt. Oder vielleicht liegt es nur an unserer Herkunft. Daran, dass wir es satthaben, zur ewigen Minderheit zu gehören. So oder so ist das Anpassen ein Lifestyle, der mich schon immer umgeben hat."
"Ich hab nämlich festgestellt, dass ich mich nicht entscheiden muss. Zwischen Neuperlach und München. Ich kann in beiden Welten existieren, meine Freundesgruppen kombinieren und Kanak und Nicht-Kanak zugleich sein. Ich bin eine Mischung aus allem, aber ich bin nicht mehr irgendwo dazwischen. Ich bin genau da, wo ich sein will."