Zitat: Was machen alte Männer, die allein sind?
Die Protagonistin Anna ist vor Jahren mit ihren Eltern von Berlin nach Marburg gezogen. Nach dem Abitur möchte sie ein Studium der Medizin beginnen. Ihre Wahl-Studienstadt wäre Freiburg, doch es wird Berlin.
Da ihr Großvater Ludwig noch in Berlin lebt, kann sie erst einmal bei ihm wohnen, bis sie eine Unterkunft gefunden hat.
Nach dem Tod der Großmutter Edith lebt Ludwig allein. Die Mauer ist gerade gefallen, die Mauerspechte hämmern tagein tagaus und verkaufen die Devotionalien eines untergegangenen Staates vor dem Brandenburger Tor.
In der Wohnung des Großvaters macht Anna eine folgenreiche Entdeckung. Versteckt in den Tiefen des Bücherregals findet sie Bücher mit völkischem Gedankengut aus Hitlers Gehirn-Wäschekasten.
In einem dieser Bücher steckt eine Karte. Darauf ist ein Tor abgebildet. Mit dieser Postkarte beginnt Annas Suche in eine totgeschwiegene Vergangenheit.
Ist es besser die Vergangenheit dem Vergessen anheim zu stellen? Alles Erlebte in den Orkus zu spülen, von sich abzuwaschen, sich von den Farben, Geräuschen und Gefühlen der Vergangenheit zu säubern bis nur noch ein weißes Nichts übrig bleibt?
Aber es gibt etwas, das schwerer wiegt als das Vergessen - die Schuld. Sie lastet wie ein dunkler Schatten auf der Seele und verfolgt diese unaufhörlich.
Sie ist das Echo aller Taten, das in den stillen Momenten der Nacht widerhallt, das Gewicht, das uns hindert, die Wahrheit zu erzählen.
Die Wahrheit über Demmin, einer normalen Kleinstadt, eingebettet in das charmante Peenetal am Rande eines der letzten Moore Deutschlands.
Im April 1945 wurde aus dieser Stadt ein Mausoleum. In Demmin ereignete sich einer der größten und schrecklichsten Massenselbstmorde des Zweiten Weltkrieges.
Wer nicht den Freitod gewählt hat, wurde von der russischen Siegermacht erschossen, vergewaltigt, gebrandschatzt. Jeder Stein, jede Mauer, jedes Dach trug die Narben dieses schrecklichen Ereignisses. Eine geschändete Stadt mit 400 toten Kindern.
In ihrem Debütroman lüftet Carolin Miltenburger den Schleier des Schweigens über einem Ereignis der deutschen Geschichte, das in ganz Deutschland totgeschwiegen wurde."
Sie lässt fiktive Zeitzeugen zu Wort kommen, verleiht diesen eine einfache Sprache. Das macht die Berichte lebensnah und real. Die kurzen Kapitel erleichtern das Lesen und das Setting ist großartig. Die Wohnung von Ludwig konnte ich förmlich er-riechen.
Trotz des schweren Themas schafft es Miltenburger einen lockeren Erzählstil beizubehalten. Eine Wertung erfahren die Ereignisse nur durch die persönliche Betroffenheit der einzelnen Romanfiguren.
Ein unglaublich lesenswertes Buch über Ereignisse, die zwar heilen aber nicht vergessen werden dürfen.