Christiane Wünsche erzählt in ihrem Roman "Schwestern in einem anderen Leben" eine bewegende Familiengeschichte, die von lange verborgenen Geheimnissen und der Suche nach der eigenen Identität geprägt ist. Die Geschichte dreht sich um Rebecca alias Rosi, die sich nach Jahren des Untertauchens und Fliehens ihrer Vergangenheit und ihrer Familie stellt.Rebecca, Ruth und Miriam sind sehr unterschiedliche Töchter und haben alle drei mit den Irrungen und Emotionen der Pubertät zu kämpfen. Die Eltern, die das klassische Rollenbild der 60er und 70er-Jahre widerspiegeln, versuchen, ihren Mädchen alles zu bieten, was sie sich wünschen. Nach außen hin wirkt die Familie wie aus dem Bilderbuch - der Vater arbeitet in der Schreinerei nebenan, verdient auch gutes Geld als Selbstständiger und die Mutter umsorgt die Familie und stellt sich hinten an. Schnell wird dem Leser deutlich, dass die Mutter den größten Fehler begeht, den eine Frau in einer Ehe und Familie begehen kann: sich selbst aufgeben. Sie ist sozial relativ isoliert und wird durch die Autorin auch sehr stark auf ihre objektiven Hausfrauenqualitäten reduziert. Dieses Rollenbild, das viele heute noch immer bewusst anstreben, wird indirekt kritisiert, indem nach einem tragischen Unfall das Leben der Mutter komplett auf den Kopf gestellt wird. Im Mittelpunkt der Handlung steht jedoch Rebecca, deren Charakter sich dynamisch entwickelt: sie wird als Heranwachsende mit einer möglichen Teenager-Schwangerschaft konfrontiert und zerbricht nahezu daran. Und gleichzeitig kann Rebecca an diesem Vorfall wachsen: sie beginnt ein komplett neues Leben und begibt sich auf die Suche nach einer neuen Identität und Familie. Aus der Retrospektive lernt der Leser die verschiedenen Stationen und Wegbegleiter Rebeccas kennen: die linke (manchmal auch radikale) Kommune, die mit der RAF liebäugelt, die Punkszene, aber auch das träge Dorfleben, das in diametraler Opposition zu Rebeccas neuem Leben steht. Letztlich zeigt der Roman, dass es gesund und notwendig ist, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen, um positiv in die Zukunft blicken zu können. Außerdem wird betont, dass es nie zu spät ist, mit alten Freunden oder Familienmitgliedern den Kontakt erneut zu suchen und sich zu versöhnen oder zumindest einen ersten Schritt zu wagen.Die Autorin versteht es, tiefgründige Emotionen zu schildern und schafft ein einfühlsames Porträt von Menschen, die mit Verlust, Enttäuschungen und der Hoffnung auf Versöhnung kämpfen. Besonders gelungen sind die vielschichtigen Charaktere und die wechselnden Perspektiven, die für Abwechslung sorgen.Allerdings zieht sich die Handlung stellenweise in die Länge, und einige Wendungen wirken vorhersehbar. Vor allem die Romantisierung der späten Familienzusammenführung ist nicht gut geglückt, da die Spannung, die über mehr als drei Viertel des Romans aufgebaut wurde, mit einem Mal zerstört wird. Der Plot kommt so zu einem schnellen Ende, das natürlich vorhersehbar ist, aber scheinbar ohne jegliche Konflikte und Aufarbeitung auskommt. Dies sind Leerstellen, die unbedingt hätten gefüllt werden müssen.Insgesamt ist "Schwestern in einem anderen Leben" ein solides Familiendrama mit gefühlvollen Momenten, das jedoch nicht in allen Aspekten überzeugt. Wer ruhige, nachdenkliche Romane mit familiären Konflikten mag, könnte dennoch Gefallen daran finden.