Besprechung vom 28.02.2022
Das reinste Suchspiel
Jörg Mühle schickt Papas Haare auf Reisen
"Von da an war mein Papa kahl." Wir wissen nicht, wer dieses Kind ist, das da erzählt. Aber es hat einen Vater, der das Schicksal vieler Väter teilt: Während die Kinder beneidenswert volle Kinderschöpfe entwickeln, die nur dann nicht beneidenswert sind, wenn sie entlaust werden müssen, werden die Väter gern etwas lichter am oberen Körperende.
So ergeht es auch dem Vater in Jörg Mühles "Als Papas Haare Ferien machten". Allerdings verlieren die meisten Väter ihr Haupthaar auf deutlich weniger spektakuläre und entschieden weniger lustige Weise als der Papa dieses anonymen Erzählerkindes. Die hauen einfach, alle mit einem Schlag, eines Tages ab. Erst aus dem Badezimmer und aus der Wohnung, dann quer durch die Stadt, durch ein Restaurant, in den Zoo. Um schließlich eine ausgedehnte Weltreise zu unternehmen. Und, oh, welcher Hohn, sie schreiben Papa auch noch Grußpostkarten. Aus "Haargentinien". Und aus "Singhaarpur".
Das sind die offensichtlicheren Wortspiele, die Mühle seinen Lesern gönnt. Wenn die Haare versuchen, am Bahnhof zu entweichen oder im Blumenladen zu verduften, ist von der Zielgruppe, Kindern, die anfangen, selber zu lesen, deutlich mehr Sprachwitz gefragt. Und erst recht, wenn die Haare einen Koch in Rage bringen, weil Haare von Suppe geradezu magisch angezogen werden.
Der Frankfurter Mühle, Jahrgang 1973, Mitglied der Ateliergemeinschaft Labor, aus der immer wieder die wundervollsten Kinderbücher für alle entspringen, hat seine Beredsamkeit zu Beginn seiner Karriere als Illustrator allein in seine Bilder gelegt. Erst solchen, die er für andere erfand, mit Erfolgstiteln wie "An der Arche um acht" von Ulrich Hub und jüngst der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten von ihm illustrierten Fassung der Brief-Serie von Megumi Iwasa, beginnend mit "Viele Grüße, Deine Giraffe".
Doch beharrlich ist neben dieser beachtlichen Kongenialität ein eigenes Werk gewachsen, in dem Mühle nicht nur seinen zeichnerischen Stil zu einer eigenen Sprache ausgebaut hat. "Nur noch kurz die Ohren kraulen" und weitere Pappbilderbücher um das Hasenkind, "Zwei für mich, einer für dich" für ganz junge Kinder sind auf diesem Weg entstanden, mit eigenem Text. Und nun ist Mühle, wieder beim Frankfurter Moritz-Verlag, in der Reihe der Erstleser-Bücher erschienen.
Was nicht bedeutet, dass der Text nun den Bildanteil übersteigt. Es ist eher ein harmonisches Halbe-Halbe, das mal eine Doppelseite Wimmelbilder gönnt und dann wieder eine dichte Seite Lesestoff. Die Verbindung der überaus kuriosen Geschichte der Haare, die ihren Besitzer verlassen, mit dem Ton eines wie sachlich erzählenden Kindes ist ein Kunstgriff mit Wirkung, dem man die ein oder andere spielerische Spirale zu viel verzeiht. "Er war immer mit ihnen zusammen gewesen", führt eine Passage sachlich aus, das wirkt schlicht und ist doch, gleichzeitig sehr komisch und ein wenig melancholisch, dicht und hintergründig. Und insofern passt dieser Mühle-Sound, der da entsteht, bestens zu einem Mühle-Strich, den man immer wiedererkennt. Erst recht, weil er in "Als Papas Haare Ferien machten" nicht nur den Pinguin aus "Viele Grüße" eingebaut hat. Im Restaurant finden wir nicht die Haare in der Suppe - aber ein winziges Kind in einem winzigen Hochstuhl, auf dem in ganz winzig ein Buch vom Hasenkind zu entdecken ist. EVA-MARIA MAGEL
Jörg Mühle:
"Als Papas Haare Ferien machten."
Moritz Verlag,
Frankfurt 2022.
72 S., geb.,
9,95 Euro.
Ab 7 J.
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