Durch Bücher haben wir die Möglichkeit, uns in andere Menschen und Welten hineinzuversetzen. Uns in Empathie zu üben und für andere Lebensrealitäten zu sensibilisieren. Im besten Falle tragen sie zu einer freundlicheren und solidarischeren Gesellschaft bei. Die 10 Bücher, die wir Ihnen hier empfehlen möchten, schaffen das auf ganz unterschiedliche Weise. Es sind alles deutsch-migrantische Romane, die sich mit Identität, Heimat und Fremdsein auseinandersetzen. Was bedeutet es, in einem fremden Land anzukommen und zu leben? Inwiefern wird man von dieser Erfahrung geprägt? Darauf antwortet jede:r dieser Autor:innen mit Migrationshintergrund anders und doch vereint sie eine innere Zerrissenheit, die wohl nie ganz verheilt.
1. Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren
(143Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: Ein Junge, der sich eine Gewalt herbeisehnt, die eine Kuhle hinterlässt mit den Umrissen Deutschlands. Er lebt in einer Siedlung, wo die Küchen keine Abzüge haben, und in deren Fluren es nach Armut, Majoran und Etagenbetten riecht. Es sind die 1990er und er ist mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen. Die Mutter ist Soziologin, der Vater ein Schriftsteller, in dessen Sprache es fünfzehn verschiedene Begriffe für Stolz gibt. Deutschland erlebt er als Kränkung und wird zum Beobachter. Erschöpft sich dabei, das Land zu begreifen, während die Mutter an das An- und Weiterkommen glaubt und die Wut des Sohnes immer ungehemmter wird.

Darum lieben wir dieses Buch: Behzad Karim Khani schreibt so wunderbar poetisch und voller Sprachgewalt, dass es wirkt, als vermische sich die blumige iranische Sprache mit der deutschen. In seinem neuen autobiografisch beeinflussten Roman erfahren wir, was es bedeutet, als gebildeter Mensch in ein fremdes Land zu kommen, in dem man wieder bei null anfangen muss. Wahnsinnig eindrückliche Migrationsliteratur, die in keinem Bücherregal fehlen sollte. Übrigens: auch der Vorgänger "Hund Wolf Schakal" - sein Debüt - ist sehr lesenswert.
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2. Necati Öziri: Vatermal
(137Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: Arda weiß nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Er liegt mit Organversagen im Krankenhaus seiner Heimatstadt im Ruhrgebiet; an seinem Bett sitzen abwechselnd seine Mutter Ümran und seine Schwester Aylin. Seit zehn Jahren haben die beiden kein Wort miteinander gesprochen. Zum Abschied wendet er sich an seinen Vater, den er nie kennengelernt hat. Arda erzählt dem Unbekannten von Geburtstagen im Ausländeramt und vom letzten Sommer auf dem Bahnhofsplatz, bevor alle seine Freunde verschwinden.

Darum lieben wir dieses Buch: "Vatermal" ist ein deutsch-migrantischer Familienroman, der schonungslos ehrlich geschrieben ist und einen daher nicht mehr so schnell loslässt. In Erinnerungsfragmenten zeigt er die Lebensrealität von Migrant:innen in Deutschland. Inwiefern beeinflusst eine türkische Kindheit das Leben in Deutschland? Was bedeutet ein abwesender Vater in einem patriarchal geprägten Umfeld? Eine emotional starke und wundervoll geschriebene Geschichte, die wir sehr empfehlen können. "Vatermal" stand 2023 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
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3. Fatma Aydemir: Dschinns
(343Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach. Fatma Aydemirs großer Gesellschaftsroman erzählt von sechs grundverschiedenen Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind. Alle haben sie ihr eigenes Gepäck dabei: Geheimnisse, Wünsche, Wunden. Was sie jedoch vereint: das Gefühl, dass sie in Hüseyins Wohnung jemand beobachtet.

Darum lieben wir dieses Buch: "Dschinns" gehört definitiv zu unseren Lieblingsbüchern und war zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022. Ein sehr einfühlsamer deutsch-migrantischer Roman, der interessante Einblicke in die muslimische Kultur und in die Lebenswelt von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund gewährt. Außerdem: Fans von magischem Realismus kommen hier auch auf ihre Kosten. Ganz klar: lesen!
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4. Olga Grjasnowa: Juli, August, September
(127Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: Lous zweiter Ehemann ist eine Trophäe - das muss selbst ihre Mutter anerkennen. Sergej ist Pianist und er ist jüdisch, genau wie Lou. Trotzdem ist ihre Tochter Rosa noch nie in einer Synagoge gewesen - eine ganz normale jüdische Familie in Berlin. Aber sind sie noch eine Familie, und was ist das überhaupt? Um das herauszufinden, folgt Lou der Einladung zum 90. Geburtstag ihrer Tante. In einem abgehalfterten Resort auf Gran Canaria trifft der ganze ex-sowjetische Clan aus Israel zusammen, verbunden nur noch durch wechselseitige Missgunst. Gegen die kleinen Bösartigkeiten und die vage Leere in sich trinkt Lou systematisch an und weiß plötzlich, dass die Antwort auf all ihre Fragen in der glühenden Hitze Tel Avivs zu finden ist.

Darum lieben wir dieses Buch: Dieses Buch gibt nicht nur interessante Einblicke in das säkulare jüdische Leben, sondern handelt auch von Identität und inwiefern diese Lou und ihre Familie beeinflusst. Die vielschichtigen Figuren und deren Gedanken haben uns sehr zum Nachdenken angeregt. Absolut lesenswerte Migrationsliteratur, die sowohl inhaltlich, als auch äußerlich überzeugt. Denn: wie toll ist bitte dieses Cover?
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5. Toxische Pommes: Ein schönes Ausländerkind
(25Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: "Was hat uns das neue Leben gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich?" Vor dem Krieg in Jugoslawien flüchtet die Familie in ein Einwanderungsland, das keines sein möchte. Dieses Buch erzählt von der Beziehung zwischen einer Tochter, deren einziger Lebenssinn darin besteht, die perfekte Migrantin zu werden, und ihrem Vater, der sich bei dem Versuch, ihr das zu ermöglichen, selbst verliert.

Darum lieben wir dieses Buch: Viele kennen Toxische Pommes und ihre satirischen Videos sicher von Social Media. In ihrem Buch "Ein schönes Ausländerkind" zeigt sie auch eine andere Seite von sich. Sehr feinsinnig erzählt sie davon, wie es ist, als Kind von Migrant:innen aufzuwachsen. Aber keine Sorge, ihr schwarzer Humor kommt auch nicht zu kurz, was die Lektüre zu einer perfekten Mischung aus Schwere und Leichtigkeit macht. Ein beeindruckender deutsch-migrantischer Roman mit Tiefgang.
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6. Saša Stanišic: Herkunft
(264Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: "Herkunft" ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. "Herkunft" ist ein Buch über ein Dorf, in dem nur noch dreizehn Menschen leben, ein Land, das es heute nicht mehr gibt, eine zersplitterte Familie. Es ist ein Buch über die Frage, was zu Saša Stanišic gehört, ein Selbstporträt mit Ahnen. Und ein Scheitern des Selbstporträts. "Herkunft" ist ein Abschied von seiner dementen Großmutter. Während er Erinnerungen sammelt, verliert sie ihre. "Herkunft" ist ein Buch über Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache und Scham, Ankommen und Zurechtkommen, Glück und Tod.

Darum lieben wir dieses Buch: "Herkunft" ist eines der schönsten Bücher der letzten Jahre. 2019 hat Saša Stanišic dafür den Deutschen Buchpreis erhalten - und zwar völlig zu Recht! Der Schreibstil ist eher verspielt, denn die Geschichte wird nicht linear erzählt und sie endet mit einem choose your own adventure-Schluss. Ein märchenhafter und absolut kluger Roman, auf den man sich einlassen muss und für den man sich ausreichend Zeit nehmen sollte.
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7. Dmitrij Kapitelman: Eine Formalie in Kiew
(1Bewertung)15
Taschenbuch
Darum geht es: Dmitrij Kapitelman kann besser sächseln als die Beamtin, bei der er den deutschen Pass beantragt. Nach 25 Jahren als Landsmann, dem Großteil seines Lebens. Aber der Bürokratie ist keine Formalie zu klein, wenn es um Einwanderer geht. Frau Kunze verlangt eine Apostille aus Kiew. Also reist er in seine Geburtsstadt, mit der ihn nichts außer Kindheitserinnerungen verbindet. Schön sind diese Erinnerungen, warten doch darin liebende, unfehlbare Eltern. Und schwer, denn gegenwärtig ist die Familie zerstritten.

Darum lieben wir dieses Buch: Dieses Buch über Heimat und Herkunft zeigt, wie sehr man sich auch nach vielen Jahren nach der Einwanderung noch als Migrant:in und fremd fühlt. Und was Migration mit der Beziehung zu den eigenen Eltern macht. Dmitrij Kapitelman erzählt mit sarkastischem Humor, wie er stoisch versucht, Deutscher zu werden und an der Bürokratie zu scheitern droht. Absolut lesenswerte Literatur aus einer sehr reflektierten migrantischen Perspektive. Übrigens: sein Roman "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters" erzählt auch schon von der Familie; "Eine Formalie in Kiew" ist quasi der zweite Teil der Familiengeschichte, aber auch eigenständig lesbar.
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8. Lena Gorelik: Wer wir sind
(20Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Sankt Petersburg/Ludwigsburg 1992. Ein Mädchen reist mit den Eltern, der Großmutter und ihrem Bruder nach Deutschland aus, in die Freiheit. Was sie dafür zurücklässt, sind ihre geliebte Hündin Asta, die Märchen-Telefonnummer und fast alles, was sie mit Djeduschka, Opa, verbindet - letztlich ihre Kindheit. Im Westen merkt die Elfjährige, dass sie jetzt eine andere und "die Fremde" ist. Auch für die Eltern ist es schwer, im Sehnsuchtswesten wächst ihre russische Nostalgie; und die stolze Großmutter, die mal einen Betrieb leitete, ist hier einfach eine alte Frau ohne Sprache. Das erst fremde Deutsch kann dem Mädchen helfen - beim Erwachsenwerden, bei der Eroberung jenes erhofften Lebens.

Darum lieben wir dieses Buch: Dieser autobiografische Roman hat sehr viele Ebenen, die sich zwischen Stolz und Scham, Eigensinn und Anpassung, Fremdsein und Zugehörigkeit bewegen. Vor allem die poetische und bildhafte Sprache machen diesen deutsch-migrantischen Roman der aus Russland stammenden Autorin Lena Gorelik zu etwas Besonderem. Ihr Roman "Hochzeit in Jerusalem" war für den Deutschen Buchpreis nominiert, "Mehr Schwarz als Lila" für den Deutschen Jugendbuchpreis.
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9. Khuê Pham: Wo auch immer ihr seid
(67Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Sie ist dreißig Jahre alt und heißt Ki_u, so wie das Mädchen im berühmtesten Werk der vietnamesischen Literatur. Doch sie nennt sich lieber Kim, weil das einfacher ist für ihre Freunde in Berlin. 1968 waren ihre Eltern aus Vietnam nach Deutschland gekommen. Für das, was sie zurückgelassen haben, hat sich die Journalistin nie interessiert. Im Gegenteil: Oft hat sie sich eine Familie gewünscht, die nicht erst deutsch werden muss, sondern es einfach schon ist. Bis zu jener Facebook-Nachricht. Sie stammt von ihrem Onkel, der seit seiner Flucht in Kalifornien lebt.

Darum lieben wir dieses Buch: Den Vietnamkrieg kannten wir bislang vor allem aus westlicher, amerikanischer, Perspektive. Khuê Pham gibt mit ihrem Roman "Wo auch immer ihr seid" auch Vietnames:innen eine Stimme - nämlich in Form einer Familiengeschichte, die sich über mehrere Generationen erstreckt. Eindringlich erzählte Migrationsliteratur, durch die man sehr viel über die vietnamesische Kultur lernt.
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10. Mirrianne Mahn: Issa
(171Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: Eigentlich will Issa diese Reise gar nicht antreten. Schwanger sitzt sie im Flugzeug nach Douala, angetrieben von ihrer Mutter, die bei der bevorstehenden Geburt um das Leben ihrer Tochter fürchtet. In Kamerun, dem Land ihrer Kindheit, soll sie den heilsamen Weg der Rituale gehen, unter den Adleraugen ihrer Omas. Doch so einfach ist das alles gar nicht, wenn man in Frankfurt zu schwarz und in Buea zu deutsch ist. Der Besuch wird für Issa eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und der Gewissheit, dass sowohl Traumata als auch der unbedingte Liebes- und Lebenswille vererbbar sind.

Darum lieben wir dieses Buch: "Issa" gibt tiefe Einblicke in die deutsch-kamerunische Geschichte und Kultur. Wir lernen fünf verschiedene Frauen kennen, die über mehrere Generationen miteinander verbunden sind. Angefangen von ihrer Ur-ur-Großmutter, Enanga, die zur Kolonialzeit lebte, und von den deutschen Besatzern berichtet, bis hin zu Issa selbst. Eine berührender deutsch-migrantischer Roman über Identität und das Streben nach Selbstbestimmung.
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