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Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne

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Hörbuch CD
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Nach »Herkunft« endlich neue Erzählungen des SPIEGEL-Bestsellerautors und Deutschen Buchpreisträgers

Was wäre, wenn man nicht diese eine Entscheidung getroffen hätte, sondern diese ganz andere? Was wäre, hätte man der Erwartung getrotzt? Und: Wäre es nicht schön, könnte man ein Leben probeweise erfahren, bevor man es wirklich lebt?

Manchmal fürchten wir uns, feige gewesen zu sein, zu lange gezögert und etwas verpasst zu haben, das uns ein besseres Ich beschert hätte, ein größeres Glück und die besser aussehenden und lustigeren Haustiere und Partner. Die neuen Erzählungen von Sasa Stanisic widmen sich diesem permanenten Grübeln an den Kreuzwegen unserer Biografie, an denen man doch auch einmal einen überraschenderen Weg hätte gehen, eine unübliche Wahl hätte treffen oder eine Lüge hätte aussprechen können. So wie die Reinigungskraft, die beschließt, mit einer Bürste aus Ziegenhaar in der Hand, endlich auch das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. So wie der deutsch-bosnische Schriftsteller, der zum ersten Mal nach Helgoland reist, nur um dort festzustellen, dass er schon einmal auf Helgoland gewesen ist. So wie der Vater, der bereit ist zu betrügen, um endlich gegen den achtjährigen Sohn im Memory zu gewinnen ...

Ungekürzte Lesung mit Sasa Stanisic
1 MP3-CD, 7h 1min

Produktdetails

Erscheinungsdatum
30. Mai 2024
Sprache
deutsch
Auflage
Ungekürzte Lesung
Ausgabe
Ungekürzt
Laufzeit
421 Minuten
Autor/Autorin
Saša Staniši
Sprecher/Sprecherin
Saša Staniši
Verlag/Hersteller
Produktart
MP3
Audioinhalt
Hörbuch
Gewicht
88 g
Größe (L/B/H)
148/145/9 mm
GTIN
9783844551464

Portrait

Saša Staniši

Saša Staniši wurde 1978 in Višegrad (Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Werke wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und viele Male ausgezeichnet. Saša Staniši lebt und arbeitet in Hamburg. Er ist dort Fußballtrainer einer F-Jugend.

Pressestimmen

Besprechung vom 29.05.2024

Der Himmel überm Emmertsgrund

Einloggen, sofort: Sasa Stanisic probiert in seinem neuen Erzählband mögliche Vergangenheiten und Zukünfte zwischen Realität und Romantik an. Sie sitzen gut.

Sasa Stanisic, geboren 1978 im damals jugoslawischen Visegrad, 1992 vor dem Bosnienkrieg mit seinen Eltern geflüchtet nach Heidelberg, hat seine Jugend im dortigen Stadtteil Emmertsgrund schon mehrfach zum Thema autobiographischer oder autofiktionaler Literatur gemacht.

Von 1970 an war im Emmertsgrund ein soziales Großwohnbauprojekt der "Neuen Heimat" für etwa siebentausend Menschen entstanden. Idyllisch gelegen am Hang des Königstuhls, teilte es dennoch das Schicksal vieler ähnlicher Projekte: Obwohl ambitioniert geplant, wurde es bald zu einem sogenannten Brennpunkt. 1992 war der Stadtteil längst stigmatisiert.

Mit "Neue Heimat" sind auch der erste sowie der letzte Text in Stanisics neuem Erzählband überschrieben, der keine Gattungsbezeichnung trägt. Man kann also diskutieren, ob es sich um Fiktion handelt. Von einem "Roman" würde man indes wohl eher nicht sprechen (und ist dem Verlag dankbar, dass er dieser Versuchung widerstanden hat, obwohl Verlage zu Verkaufszwecken inzwischen wirklich fast alles Roman nennen), aber dennoch hängen die Erzählungen teils eng zusammen und sind, wie beschrieben, sogar gerahmt.

Sie beginnen in jenem Ton nahe an Kinder- und Jugendliteratur, den Stanisic etwa auch in seinem sehr erfolgreichen Buch "Herkunft" verwendet hat und den er nach wie vor sehr gut beherrscht. "An einem heißen Weinbergnachmittag im Juni 1994" träumen vier junge Emmertsgrund-Bewohner von der Zukunft. "Wie super wäre es, wenn es einen Proberaum fürs Leben gäbe?", fragt einer. "Du gehst in den rein und probierst zehn Minuten aus der Zukunft - wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit Schicksal."

Das scheint verlockend, zumal wenn man in Betonhochhäusern wohnt, zwischen denen leider nur wenige Bäume gepflanzt wurden. Doch es dämmert Fatih, Piero, Nico und Sasa - "Ausländern in Deutschland", wie es heißt, deren Eltern "Kackjobs oder gar keinem Job" haben - schnell, dass der Proberaum womöglich "eine Kackzukunft nach der anderen" anbieten könnte: "Ist für die meisten leider wahrscheinlich, oder?"

Von dieser Prämisse gehen Sasa Stanisics Erzählungen aus, um sie, teils in Texten aus der Lebenswelt des Autors, teils in Möglichkeitswelten und Science Fiction, durchzuspielen oder auch zu widerlegen. Als Oberthema, manchmal nur als Unterton, haben sie alle die Frage, wie Migranten in Deutschland leben und behandelt werden und wie sie mit traumatischen Erinnerungen umgehen. Wie man an der Geschichte über eine Witwe namens Gisel merkt, die dem Band seinen verschwurbelten Titel gibt, geht in Verbindung mit diesem Thema der Jugendsound nicht immer so ganz auf: "Wegen Kälte hatte die Mutter links nur drei Finger gehabt. Na ja, wegen Kälte und wegen Nazideutschland."

Stanisic, längst auch ein lustiger König der Lesebühnen, setzt auch in diesem Buch wieder viel auf Pointen. Er weiß weiter zu überraschen, wenn er etwa den Fußballer Miroslav Klose als Figur auftreten lässt, und neugierig zu machen, wenn es über eine Figur heißt, sie habe Hausverbot im McDonald's in Winsen, und man sich fragt, warum wohl.

Formal interessant ist, dass andere Erzählungen des Bandes über den Lesebühnen- oder Jugendbuchton dann allerdings weit hinauswachsen. Das gelingt durch eine scheinbar leichthändig geschaffene, aber tiefgründig-vertrackte Erzählstruktur, in der mitunter von Satz zu Satz die Zeitebenen und die Perspektiven wechseln. Schon die Rahmenerzählung spielt mit Leseransprachen. Im Herzstück des Buches, der Erzählung über eine Fahrt nach Helgoland, wird der Autor selbst zur Figur, einmal als Jugendlicher bei einem Besuch auf der Insel 1994, dann als Erwachsener 2023, und beide sind sich dann auch noch darüber bewusst, dass sie sich in der Fiktion eines Autors befinden, dessen Einfälle sie mehr oder weniger gutheißen: Das ist mal eine steile Geschichte, die mit dem Erbe der Metafiktionalisten von Laurence Sterne bis zu Joshua Cohen munter spielt, aber trotzdem abgründig ist und unverkennbar nach Stanisic klingt - ein literarisches Meisterstück.

Während immer klarer wird, dass der Junge, der 1994 vor seinen Emmertsgrund-Freunden behauptet hat, nach Helgoland gereist zu sein, dort nie war, wächst die Erkenntnis, warum er sich diese Geschichte ausgedacht hat und auch viele andere anprobiert wie Kleider (Max Frisch) oder eben wie Schuhe bei Deichmann (Sasa Stanisic).

In der Erzählung "Hochsitz" weiter hinten im Band liest man dann das Komplementärstück zur Helgoland-Geschichte. Es erzählt davon, wie der Autor, als Sechzehnjähriger im Frühling und Sommer 1994, nicht verreist, sondern seine Nachmittage im Wald nahe der Emmertsgrund-Siedlung verbringt. Ausgestattet mit Büchern aus der Stadtbücherei Heidelberg, mit Heine, Kafka, Fallada und Domin, erlebt er seine literarische Initiation und lernt das Tagträumen: "ein anderer sein, um zu vergessen und zugleich zu bestätigen: wer ich war", nämlich "ein Kriegsflüchtling". Mit einem Termin bei der Ausländerbehörde am Donnerstag um 14.30 Uhr und Angst vor Abschiebung.

Plötzlich wird etwa auch deutlich, warum die Nordsee zuvor in der Helgoland-Story "nach Moos, Butterbrot und dem Flüggewerden von Spechtküken" roch: weil sie auf dem Hochsitz im Heidelberger Wald erfunden wurde.

Und während man am Ende zunächst glaubt, auf der Realitätsebene angekommen zu seine - jener, in der ein gestandener Autor Sasa Stanisic im Sommer 2023 für eine Lesung in den Emmertsgrund zurückkehrt, auch den Hochsitz im Wald wiederfindet und sogar seinen dort eingeritzten Namen -, dämmert es einem doch langsam, dass auch diese Realität eine zutiefst romantische Anprobe ist: "Mit der Heine-Lektüre begann ich an einem milden Nachmittag im Mai, 1994. Der Wald surrte und sang, ich las und las. Bald ging die Sonne rotglühend über Frankreich unter, und der Tageslichtrest roch nach Müllermilch Banane." JAN WIELE

Sasa Stanisic: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne".

Luchterhand Literaturverlag, München 2024. 256 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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