Colm Toibin hat mit seinem Werk "Brooklyn" einen großen Erfolg verbucht und kehrt nun mit "Long Island" zu seinen Charakteren zurück. Die Erzählung setzt wieder bei der Protagonistin Eilis an und findet sie nach 20jähriger Ehe mit Tony in Long Island, gleich neben dem Haus der Schwiegereltern und der restlichen italienischen Großfamilie mit zwei halb erwachsenen Kindern.Eilis hat einen guten Job, gerät jedoch zunehmend in einen Konflikt mit ihren Schwiegereltern. Der Schwiegervater schätzt ihre Eigenschaft zu selbständigem, kritischen Denken nicht und die Schwiegermutter manipuliert sich generell durch die Familie. Was zunächst idyllisch und stabil wirkt, entpuppt sich schnell als zerrüttet als Tony mit einem unehelichen Kind aus einem Seitensprung konfrontiert wird. Die italienische Seite der Familie steht hinter Tony und seinem Kind. Eilis bleibt nur die Flucht zurück nach Irland, wohin ihre Kinder ihr zum Besuch bei der Großmutter bald folgen. In Irland trifft Eilis wieder auf Jim, den sie vor zwanzig Jahren Tony vorgezogen hätte, wenn die Umstände es erlaubt hätten. Doch auch bei Jim ist kaum etwas wie es zu sein scheint und bald verknüpfen sich die weiteren Schicksale mehrerer Menschen auf fragile Art und Weise.Gerne würde ich nun schreiben, dass die Lektüre ein Genuss war. Das war sie aber sicher nicht. Tatsächlich habe ich mich weitestgehend durch das Hörbuch quälen müssen, trotz großartiger Sprecherin (großes Lob)! Zunächst gab ich dem Autor die Schuld. Eigentlich hätten die Schilderungen einfühlsam und einsichtsvoll sein sollen, doch ich habe es nicht so empfunden. Wo liegt also das Problem für mich?Colm Toibins Charaktere lassen mich weitestgehend kalt bis angewidert zurück. Beide Mütter (Tonys' und Eilis') sind manipulative alte Krähen, denen ich nicht über den Weg rennen will. Und auch Eilis selbst erlebe ich durchgehend als gefühlskalt und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Wen ich nachvollziehen kann, ist Nancy und bis zu einem gewissen Grad auch Jim, der allerdings auch seine Geheimnisse hat und von Fairness höchstens träumen kann. Sogar die Teenager-Kinder handeln auf eine Art und Weise bei der ich mir die Frage stelle - fühlen die irgendetwas?So bleibt mir nur das Fazit, dass Colm Toibin zwar ein feiner Beobachter und ein guter Schriftsteller ist, mich aber nicht erreichen kann. Aber das ist natürlich Geschmackssache. Vom Ende war ich entgegen der Meinung anderer Leser*innen angetan. So bleibt das Schlamassel gegen Schluss hin wenigstens einigermaßen haltbar.