Der 2017 verstorbene Norman Colin Dexter formte einen der beliebtesten und berühmtesten Detektive sehr nach seinem eigenen Vorbild. Auch Dexter war ein Liebhaber englischer Kreuzworträtsel (nicht zu verwechseln mit den unsrigen) mit einem blitzschnellen Verstand, ein von Diabetes geplagter Biertrinker und ein Kenner klassischer Musik. Bis zum Schluss kannten die Leser weder den Vornamen des Autors noch den von Morse. Erst später stellte letzterer sich als Endeavour heraus; auf den Büchern steht weiterhin nur Colin Dexter.Um sich eine Pause von seinen launischen Kindern zu gönnen, begann Dexter 1975, die ersten Absätze eines Kriminalromans zu notieren. Sein einziges Ziel war es, sich etwas Zerstreuung zu gönnen. Daraus wurden 14 Romane und die beliebteste britische Fernsehserie mit John Thaw als Inspektor Morse, die bald ein Prequel und ein Sequel bekam.Der letzte Bus nach Woodstock führte also Morse und Sergeant Lewis ein. Lewis ist älter als Morse. Morse ist zwar jähzornig, hat aber nicht ganz den akademischen Hochmut, den er im Laufe der Fernsehsendung entwickelte - er ist vielleicht angedeutet, aber nicht voll ausgeformt. In seinen Vierzigern ist er ein ganz anderer Typ, ziemlich hartgesotten und bereits ziemlich desillusioniert von der Welt, während sie voranschreitet. Er leidet an Gicht und in einer Szene muss er sich deswegen seine Schuhe eine Nummer größer kaufen, um zu einer Tanzveranstaltung zu gehen, wo doch ein Fuß ziemlich angeschwollen ist.In diesem ersten Roman wird ein Mädchen mit eingeschlagenem Schädel auf dem Parkplatz eines Pubs aufgefunden. Spätestens jetzt genießen wir die wohltuende Vorgehensweise ohne die überkandidelte Forensik amerikanischer Machwerke. Während Lewis den Tatort untersucht, trinkt Morse in einem Hinterzimmer erst einmal Scotch. Die klassische Arbeit des Nachdenkens ist gefragt, des Individuums. Man mag sich sicher fragen, ob überhaupt jemand nüchtern genug ist, den Fall aufzuklären, aber genau das ist das Missing Link zu vielen heutigen Werken, die sich doch eher am Thriller abarbeiten, allein schon deshalb, weil er leichter zu schreiben ist. Man kann sich einen Detektiv heutiger Prägung kaum mit bestimmten Kultiviertheiten glaubhaft vorstellen, ebenso wenig wie eine moderne Wohnung ohne irgendeinen Ikea-Schrott.Irgendwann scheint Morse einfach ins Auto zu steigen und nach einem überraschenden Muster vorzugehen, das wie ein Zaubertrick wirkt, ohne aber den Leser zu hintergehen. Lewis weiß die Gedankengänge seines Chefs oft nicht zu deuten, aber gleich zu Beginn des Romans springt der Funke, der die kommende Partnerschaft begründet, über. Während Morse bei seiner Untersuchung einen Whiskey nach dem anderen weghaut, verkündet er, dass Lewis keinen bekommen sollte, weil er ja im Dienst sei. Das ist ein sympathischer Spaß, der vielleicht etwas rüde erscheinen mag, aber in Wirklichkeit den gegenseitigen Respekt voreinander begründen wird.Am Ende ist der Leser von einigen Überlegungen, die Morse anstellt und die zur Lösung des Falls führen, verblüfft. Es gibt bereits hier schon das typische Morse-Stolpern, das zu einer richtigen Schlussfolgerung führt. Er versteht die Dinge falsch, er geht einer losen Ahnung nach oder verfällt sogar in ein irriges Vorurteil, muss dann zurückgehen und von vorne anfangen. All das, was Morse zu einem so unverwechselbaren Charakter macht, ist hier bereits voll ausgebildet, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht abzusehen war, welchen Kultstatus die Figur eines Tages erreichen würde. Dexter selbst hatte zu diesem Zeitpunkt mit nicht mehr als einem Roman geplant, war aber so klug, Morse so zu skizzieren, dass im Roman Informationen angelegt sind, die zur weiteren Ausarbeitung reizen. Der letzte Bus nach Woodstock ist aber auch deshalb ein so wichtiger Meilenstein, weil der Roman nicht auf Nummer sicher geht, sondern bereits die Türen zu dem öffnet, was dann später ein Mankel oder Ian Rankin aufnehmen würden.Da sitzt er in der Mitte dieses Buches, ein unruhiger Mann, der darauf wartet, dass noch mehr Ärger kommt.