Besprechung vom 03.06.2020
Altern im Zeitraffer
Krimis in Kürze: Uwe Laub, Harald Gilbers, Anton Berg
Die Savanne im Kruger-Nationalpark ist übersät mit Hunderttausenden von Kadavern, in den Höhlen der Schwäbischen Alb türmen sich die toten Fledermäuse, und durch die Städte schleichen immer mehr Menschen, die altern wie im Zeitraffer. Wegen den gelblich verfärbten Augen der Erkrankten heißt die Pandemie bald der "Gelbe Tod". Es gibt keinen viralen oder bakteriellen Erreger. Es dauert Wochen, bis ein unbekannter parasitärer Pilz, den längst alle in sich tragen, als Auslöser erkannt wird.
Das Timing von "Leben" (Heyne, 384 S., br., 14,99 [Euro]) ist ungeplant perfekt: Uwe Laub hat lange vor der Corona-Krise begonnen. Das Szenario einer Zoonose, einer Infektionskrankheit, die wechselseitig zwischen Mensch und Tier übertragen wird, und eines massenhaften Artensterbens beruht auf solider Recherche, die Laub mit einem dramatischen Möglichkeitshorizont versehen hat. Im Kampf um ein Heilmittel versuchen rücksichtslose Pharmakonzerne auch das inzwischen bestens bekannte Robert-Koch-Institut (RKI) zu instrumentalisieren. Die Dynamik des Geschehens ist so spannend, dass man leicht verkraftet, wenn die Figuren, auch der als Identifikationsfigur entworfene Pharmareferent Fabian, vom Plot nur mitgeschleift werden.
Laubs Bauplan überzeugt so lange, bis klar wird, dass nach 200 Millionen Toten die Rettung nahen soll durch die schlichte Ausschaltung eines amoralischen Masterminds mit Weltbeglückerambitionen. Der blutige Showdown im RKI wirkt als brachiale Reduktion der Komplexität, die das Buch zuvor in guter Michael-Crichton-Tradition entfaltet hat. Da war Steven Soderbergh in seinem Pandemie-Film "Contagion" vor fast zehn Jahren deutlich subtiler.
Manchmal ist es aufschlussreicher, einem Helden erst zu begegnen, wenn er schon in Serie gegangen ist. "Hungerwinter" (Knaur, 446 S., br., 9,99 [Euro]) ist der fünfte Auftritt von Richard Oppenheimer, dem jüdischen Kommissar, der erst dank "Mischehe" und dann im Untergrund die Nazizeit überlebte. Im November 1947 muss er einen scheinbar belanglosen Einbruch mit Todesfolge aufklären. Schnell weitet sich der Fall, die Organisation Gehlen, aus der später der Bundesnachrichtendienst wurde, mischt mit, argentinische Diplomaten und professionelle Schleuser, die "Rattenlinien", Fluchtwege für alte Nazis, organisieren.
Den Plot hat Harald Gilbers nicht schlecht konstruiert, aber die ständigen erläuternden historischen Einschübe haben etwas Schulfunkhaftes. Auch sonst bleibt der Roman stilistisch bescheiden. Dass die Figuren Redewendungen benutzen, die heute abgestanden und floskelhaft wirken, ist ja völlig in Ordnung; aber dann sollte der alte SS-Mann nicht vom "Zeitfenster" reden oder etwas "zeitnah" erledigen. Und Gilbers' Hang zum schmückenden Begleitsatz bei wörtlicher Rede ("schmunzelte bedauernd", "schnaubte") geht einem nicht nur auf die Nerven; er zeigt vor allem: Je blumiger die Verben im Begleitsatz, desto schwächer der Dialog.
Von einem Stieg-Larsson-Nachfolger träumen vermutlich noch immer einige Verlage. Gefunden hat ihn keiner, aber es ist leicht zu erkennen, wenn ein Autor mit der Larsson-Methode operiert. Anton Berg, selbst Rundfunkjournalist, setzt in "18" (Lübbe, 480 S., br., 14,90 [Euro]) den Rundfunkmann Axel Sköld auf die Spur eines mächtigen Zirkels, einer schwedischen Variante des "tiefen Staats". Sköld, unerschrockener Einzelkämpfer wie Larssons Mikael Blomkvist, ist bei einer Recherche auf einen bösen Verdacht gestoßen: Ein Killer könnte für drei reale Todesfälle der achtziger Jahre verantwortlich sein - für die Ermordung Olof Palmes, den mysteriösen Tod der Journalistin Cats Falck und den angeblichen Selbstmord des Rüstungskontrollinspekteurs Algernon.
Dass es dann auch noch einen Link gibt zum Mord an König Gustav III. im Jahr 1792, hört sich zunächst ziemlich verstiegen an. Aber wie Anton Berg Faktisches und Fiktives überblendet, das ist nicht ungeschickt gemacht. Und dass Skölds große Enthüllung jenseits von Fernsehen und Internet im Rundfunk stattfinden soll, hat einen gewissen anachronistischen Charme.
PETER KÖRTE
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